Schnell durchblicken bei dem Gedicht „Großstadt“ von Wolfgang Borchert (Mat8221)

Worum es hier geht:

Vorgestellt wird das Gedicht „Großstadt“ von Wolfgang Borchert. Es zeigt, dass auch ein Dichter der Nachkriegszeit noch so geschrieben hat wie im Expressionismus.

Gefunden haben wir das Gedicht hier:
https://www.deutschelyrik.de/grossstadt.html

Der Originaltext ist an der Kursiv-Schrift erkennbar.

Anmerkungen zu Strophe 1

Die Göttin Großstadt hat uns ausgespuckt 

in dieses wüste Meer von Stein. 

Wir haben ihren Atem eingeschluckt, 

dann ließ sie uns allein. 

  • Die erste Strophe präsentiert eine sehr kritische Sicht auf die Großstadt wohl ganz allgemein.
  • Hervorgehoben wird zum einen, dass die Stadt einem nur vorkommt als „dieses wüste Meer von Stein.“
    Das bedeutet wohl so viel wie Lebensferne.
  • Ein spezieller Aspekt ist, dass die Stadt auf die Ebene des Göttlichen gehoben wird.
  • Dabei wird hervorgehoben, dass das lyrische Ich sich wie „ausgespuckt“ vorkommt. Man kann davon ausgehen, dass hier für die ganze Menschheit gesprochen wird.
  • Man hat dabei den Atem der Göttin Stadt in sich aufgenommen, ist dann aber alleingelassen worden.
  • Man kann das verstehen als eine Art Menschwerdung, die aber von Seiten der Göttin sehr negativ gestaltet worde ist.
  • Am Ende stehen Einsamkeit und das Problem, zwar den göttlichen Atem zu haben, aber für sich selbst sorgen zu müssen.
  • Leserlenkung: Wenn man sich in der Bibel auskennt, kann einem hier die Vertreibung aus dem Paradies in den Sinn kommen.

Anmerkungen zu Strophe 2

Die Hure Großstadt hat uns zugeplinkt – 

an ihren weichen und verderbten Armen 

sind wir durch Lust und Leid gehinkt 

und wollten kein Erbarmen. 

  • Hier wird jetzt die Instanz, die eben noch als Göttin bezeichnet worden ist, zur Hure. Damit ist wohl gemeint, dass sie auf als unmoralisch empfundene Weise sich an die Menschen verkauft.
  • Vielleicht bedeutet es auch, dass damit keine wirkliche Lust verbunden ist, sondern nur eine Ersatzbefriedigung.
  • Das Partizip „zugeplinkt“ passt auch dazu. Denn es bezeichnet die typische Verhaltensweise von Prostituierten, die möglichen Freiern zuzwinkern oder sonst ein Zeichen geben, um mit ihnen ins Geschäft zu kommen.
  • Der zweite Teil der Strophe macht dann deutlich, dass die Menschen auf diesem letztlich wohl als falsch eingeschätzten Weg durchs Leben gegangen sind.
  • Da haben sie Positives und Negatives erlebt.
  • Am Ende geht das Gedicht noch einen Schritt weiter. Die Verführung ist anscheinend sogar soweit gegangen, dass die Menschen sich ganz bewusst darauf einstellen und auch kein „Erbarmen“ erwarten.

Anmerkungen zu Strophe 3

Die Mutter Großstadt ist uns mild und groß – 

und wenn wir leer und müde sind, 

nimmt sie uns in den grauen Schoß – 

und ewig orgelt über uns der Wind! 

  • Die letzte Strophe eröffnet dann eine Langzeitperspektive über das ganze Leben.
  • Die Großstadt wird aus der Göttin zur Mutter.
  • Sie wird eingeschätzt als „mild und groß“.
  • Inwieweit das zu dem Wort Erbarmen passt, muss man sich überlegen. Möglicherweise erwarten diese Menschen nicht mehr vom Leben, als diese große Mutter zu geben in der Lage und bereit ist.
  • Dann die Schlussperspektive auf eine Situation, in der man „leer und müde“ ist .
  • Deutlich wird, dass der Schluss des Lebens ähnlich abläuft wie der Beginn. Allerdings wird er nicht mehr so negativ beschrieben. Sondern man hat sich am Ende des Lebens gewissermaßen abgefunden damit, dass es sich nur grau präsentiert.
  • Am Ende dann eine Art kosmische Einordnung in die große Natur.
  • Der in diesem Gedicht beschriebene Prozess wird als ganz natürlich beschrieben. Das Leben wird also als ein ewiges Werden und Vergehen gesehen, das keinen höheren Sinn hat und auch keine Bedeutung.

Anmerkungen zum Gedicht insgesamt

  • Insgesamt ein sehr negativ wirkendes Gedicht, das man sicherlich verstehen kann vor dem Hintergrund von Nazi-Diktatur und Zweitem Weltkrieg, was das Leben Wolfgang Borcherts bestimmt hat.
  • Was man vermisst, ist eine Auseinandersetzung mit dem, was an Sinnangeboten die Menschheit im Laufe der letzten Jahrtausende durchaus hervorgebracht hat.

Anregung:

  • Gerade die doch recht oberflächlich negative Aussage des Gedichtes kann zum Widerspruch herausfordern.
  • Es lohnt sich sicherlich,
    • darüber zu diskutieren und
    • vielleicht sogar ein Gegengedicht zu entwerfen.
    • Es muss ja nicht unbedingt gleich Reime haben.
    • Der Rhythmus in einem Gedicht ist sowieso wichtiger.

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