Hermann Hesse als Dichter (auch) des Expressionismus? Das Gedicht „Die Maschinenschlacht“ (Mat8181)

Worum es hier geht:

Vorgestellt wird ein Gedicht von Hermann Hesse, das wir zum Beispiel hier gefunden haben:
https://www.lieder.net/lieder/get_text.html?TextId=29105

Das Interessante ist, dass dieses Gedicht anscheinend hin und wieder der Neuen Sachlichkeit zugeordnet werden. Wir können das nicht nachvollziehen, sehen stattdessen eher Kennzeichen des Expressionismus.
– gefühlsintensive Beschreibung
– extreme Gegensatzbildung mit dem Schwerpunkt auf einer übertechnisierten Maschinenwelt – mit fast schon manichäischem Endzeitszenario
– verbunden allerdings in diesem Falle mit der Hoffnung auf eine neue, menschlichere Welt
Am interessantesten finden wir aber Ansatzpunkte für einen Vergleich mit der heutigen Welt, die auf der Grenzlinie steht zwischen Humanismus und Transhumanismus, also einer Weiterentwicklung oder auch Überwendung des Menschen durch die direkte Verbindung mit der Welt der Rechner und Roboter.

Aus urheberrechtlichen Gründen präsentieren wir als Orientierungshilfe nur die Verszeilennummer und das erste Wort der jeweiligen Zeile.

Auswertung der Überschrift

 

Die Maschinenschlacht (1926)

  • Schon die Überschrift passt nicht zur neuen Sachlichkeit, sondern es wird ein extremes Bild verwendet für das, was die Maschinen machen.

Zeilen 1-4: Die Ausgangssituation – eine uns bedrohende Maschinenwelt

  1. Auf
  2. Hinter
  3. Schnurren
  4. Singen
    • Die Beschreibung der Situation hat dann auch nichts mit Sachlichkeit zu tun, sondern es geht um eine fantasievolle Darstellung, die von starken inneren Gefühlen geprägt ist.
    • Immerhin wird den Maschinen hier etwas extrem Menschliches, nämlich Bösartigkeit unterstellt.
    • Leserlenkung:
      Man könnte hier auf den Gedanken kommen, dass das Gedicht, das, was es bestimmten Menschen vorwirft, in die Maschinenwelt hineinprojiziert.

Zeilen 5-9: Die gefährliche Weiterentwicklung der Maschinen und des Hasses auf sie

  1. Es
  2. Dann
  3. Noch
  4. Die
  5. Und
    • Im gleichen Stil geht es weiter mit der negativen Vermenschlichung von Maschinen.
    • Und am Ende wird sogar das extremste Gefühl präsentiert, dessen der Mensch fähig ist, nämlich Hass.
    • Das alles hat mit Sachlichkeit überhaupt nichts zu tun. All das könnte bis jetzt direkt aus dem Expressionismus stammen, wo ähnliche Gefühle von Unterdrückung und Feindseligkeit eine Rolle spielen.

Zeilen 10: Erwartung einer Art Endkampf

  1. Und
    • Am Ende dann macht sich das lyrische Ich gewissermaßen Luft und freut sich auf einen Kampf, der wahrscheinlich viel mit einem Krieg zu tun hat.
    • Auch das kann man kaum als sachlich bezeichnen, wenn man gleichzeitig sieht, wie die Gewerkschaftsbewegung zum Beispiel mit friedlichen Mitteln hat versucht die Gesellschaft im Sinne der Unterschichten zu verändern.

Zeilen 12-20: Wütende Angriffe und entscheidende Schwachstelle der Maschinenwelt

  1. Wütend
  2. Drücken
  3. Rennen
  4. Sind
  5. Sie
  6. Das
  7. Ganz
  8. Gleich
  9. Viel
  10. Und
    • Hier deuten sich zwei Dinge an,
      1. zum einen die Gefährlichkeit und Brutalität dieser Maschinen-Angreifer,
      2. zugleich aber auch ihre Schwäche: Sie haben gerade zu viel Verstand, heute würde man sagen: Programmierung und damit künstliche Intelligenz haben.
    • Den Maschinen und ihren Konstrukteuren wird letztlich eine besondere Art von über kluger Dummheit unterstellt
    • Leserlenkung:
      Aall das passt fantastisch zu den Sorgen, die heute Menschen angesichts der Entwicklern bei Robotern und künstlicher Intelligenz haben.

Zeilen 21-22: Sieg der Menschen

  1. Bald
  2. Und
  3. Maschinen
  4. Wir
  5. In
    • Auch hier wieder ein deutlicher Abschluss dieses Teils, nämlich eine besondere Art von Siegessicherheit,
    • die aber zugleich noch einmal den ganzen Hass des lyrischen Ichs deutlich werden lässt.

Zeile 26: Rätselhaftes Bindeglied eines Elefanten

  1. Werden
    • Etwas unklar ist die Zeile mit dem sterbenden Elefanten. Denn das ist ja keine Maschine, aber anscheinend eben auch noch nicht das, was am Schluss als Höhepunkt der Menschlichkeit präsentiert wird.
    • Hypothese:
      Der Elefant steht hier für die Gesetze des Lebens. Auch die Natur vernichtet ja manchmal einen Teil von sich, damit etwas Größeres möglich wird. Man denke etwa an einen Vulkanausbruch.

Zeile 27-29: Nach dem Sieg – ein menschliches Paradies

  1. Singend
  2. Pflanzen
  3. Tanzen
    • Der Schlussteil wird dann beherrscht von der nochmaligen Charakterisierung der verschiedenen Welten.
    • Zum einen ist da der Untergang der Maschinenwelt und ihrer Betreiber.
    • Zum anderen am Ende eine geradezu märchenhaft wirkende Menschenkinderwelt.

Zusammenfassung: Kennzeichen des Expressionismus und erstaunliche Aktualität

  1. Insgesamt ein typisches Gedicht der Zeit des Expressionismus
    • Kritik der Technik
    • Extrem gefühlsintensive Darstellung
    • Mit starker Bildhaftigkeit
    • Mit einer einfachen manichäischen Gegenüberstellung von Böse und Gut
    • Darstellung des Kampfes als Notwendigkeit
    • Untergangsszenario („Weltende“) aber nur für die böse Maschinenwelt
    • Paradies-Erwartung, vgl. den „neuen Menschen“ im Expressionismus
  2. Der Schlüssel zum Verständnis dieses Gedichtes ist die These, dass diese Maschinenwelt an ihrer eigenen einseitigen Perfektion scheitert.
  3. Und das ist natürlich ein wunderbarer Hoffnungsschimmer für eine Gegenwart, in der viele Menschen befürchten, dass die Technik letztlich auch zu bösen Ergebnissen führt, etwa totaler Überwachung und zunehmender Kontrolle.
  4. Man denke etwa daran, wenn demnächst Computerprogramme über Krankheitsdiagnosen und Therapiemöglichkeiten entscheiden – und Ärzte Angst haben, den scheinbar perfekten Maschinen zu widersprechen.
  5. Man könnte hier an den Untergang der DDR denken.
  6. Dort ging es zwar nicht um eine böse Technik, wohl aber ein völlig übertriebenes Überwachung und Kontrollsystem, das letztlich auch an sich selbst zu Grunde gegangen ist. Man denke etwa hier an die irre Vorstellung, dass man in der Wirtschaft die Zukunft von einer Parteiführung aus planen kann.
  7. Zum historischen Hintergrund: Interessant ist, dass das Gedicht sich hier auf den Gegensatz zwischen angriffslustiger Maschinenwelt und Abwehrkunst der Menschen in Verbindung mit bestimmten Schwachstellen der Gegenseite konzentriert.
  8. Nur an wenigen Stellen werden soziale Konflikte angedeutet,
    • Einmal in Zeile Zeile 4
    • Und dann noch nur noch in einer allgemeinen Beschreibung des Kampfes.
    • Im Zentrum steht die „verfluchte Mechanik“.
    • Deshalb eine Interpretation eher in Richtung Technikkritik als Sozialkritik.

Nachtrag und Verständnishilfe:

Wem diese Überlegungen zum Expressionismus zu kompliziert sind oder gar abwegig erscheinen, kann einen einfachen Selbstversuch durchführen.

Er vergleicht dieses Gedicht von Hermann Hesse mit dem Gedicht „Saldo mortale“von Erich Kästner,:
https://textaussage.de/erich-kaestner-saldo-mortale-als-gedicht-der-neuen-sachlichkeit

Dann werden zumindest die Unterschiede deutlich. Wie man sie am Ende begrifflich klassifiziert, mögen die Experten entscheiden. Für die Schule reicht es, zu erkennen, dass die beiden Gedichte, was den nüchternen Sachanteil und die Gefühlsintensität angeht, Lichtjahre von einander entfernt sind.

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