Worum es hier geht:
Wir stellen ein Gedicht vor, das eine sehr idealisierte Vorstellung von Freundschaft hat und diese auch noch mit Gott in Verbindung bringt.
Das folgende Gedicht hier u.a. hier zu finden:
https://www.projekt-gutenberg.org/dach/gedichte/chap002.html
- Wir zeigen hier, wie sich Strophe für Strophe ein Verständnis aufbaut, präzisiert und vertieft.
- Wenn von „hermeneutisch“ die Rede ist, dann meint das genau die Entwicklung des Verständnisses.
- Man wird gewissermaßen von Hermes, dem Botengott der alten Griechen von Erkenntnis zu Erkenntnis geführt.
- Konkret bedeutet das: Es baut sich ein Verständnis auf, das wird dann näher ausgeführt – oder aber es wird auch korrigiert.
- Auf jeden fall entwickelt es sich weiter.
- So etwas nennt man „hermeneutisches“ Vorgehen – der Begriff wird mehrfach auftauchen – und es lohnt sich, ihn sich einzuprägen. Er ist nämlich eine Art Versicherung gegen falsche Richtung beim Interpretieren:
- Man geht nämlich immer von einem Vorverständnis aus, wenn man etwas gelesen hat.
 Dann prüft man das genauer, passt es zu dem, was wirklich im Gedicht steht und nicht nur zu dem, was einem selbst eingefallen ist.
- Einfälle sind gut – sie müssen aber passen. Und dafür sorgt gewissermaßen „Hermes“, der altgriechische Botengott, der ständig zwischen dem Gedicht und unserer Interpretation hin und her „jettet“.
 
- Man geht nämlich immer von einem Vorverständnis aus, wenn man etwas gelesen hat.
Am Ende folgt eine zusammenfassende Gesamtaussage mit sprachlichen Mitteln.
Simon Dach
Lied der Freundschaft
- Der Mensch hat nichts so eigen,
- So wohl steht ihm nichts an,
- Als daß er Treu erzeigen
- und Freundschaft halten kann;
- Wann er mit seinesgleichen
- Soll treten in ein Band,
- Verspricht sich nicht zu weichen,
- Mit Herzen, Mund und Hand.
- Strophe 1:
 Das Gedicht beginnt mit einem emphatischen Lob der Freundschaft.
- Vom Verständnis her steht zunächst die Überzeugung im Vordergrund: Treue und Freundschaft sind das Eigenste und Wertvollste des Menschen. Das Verständnis beginnt hier programmatisch mit einem Idealbild.
 
- Strophe 1:
- Die Red‘ ist uns gegeben,
- Damit wir nicht allein
- Für uns nur sollen leben
- Und fern von Leuten sein;
- Wir sollen uns befragen
- Und sehn auf guten Rat,
- Das Leid einander klagen,
- So uns betreten hat.
- Strophe 2:
 Die Reflexion weitet sich: Sprache und Kommunikation werden als Grundlage der Gemeinschaft gesehen. Hermeneutisch vertieft sich das Verständnis: Freundschaft ist nicht nur Gefühl, sondern basiert auf Austausch, Rat und gegenseitigem Trost. Die Aussage wird differenzierter – Freundschaft erscheint als Lebenspraxis.
- Was kann die Freude machen,
- Die Einsamkeit verhehlt?
- Das gibt ein doppelt Lachen,
- Was Freunden wird erzählt.
- Der kann sein Leid vergessen,
- Der es von Herzen sagt;
- Der muß sich selbst zerfressen,
- Der in geheim sich nagt.
- Strophe 3:
 Die Dimension der Freude und des Leids kommt hinzu. Hermeneutisch erweitert sich das Verständnis: Gemeinschaft vermehrt Freude und mindert Leid. Zugleich wird korrigiert: Wer seine Not verschweigt, schadet sich selbst. Das Gedicht entfaltet nun die existentielle Bedeutung von Mitteilung und Teilhabe.
- Gott stehet mir vor allen,
- Die meine Seele liebt;
- Dann soll mir auch gefallen,
- Der mir sehr herzlich gibt;
- Mit diesen Bundsgesellen
- Verlach‘ ich Pein und Not,
- Geh‘ auf den Grund der Höllen
- Und breche durch den Tod.
- Strophe 4:
 Die Strophe führt die religiöse Dimension ein. Gott steht über allem, doch Freundschaft wird als zweite höchste Bindung dargestellt. Hermeneutisch präzisiert sich der Zusammenhang: Wahre Freundschaft gibt Kraft, sogar Not, Hölle und Tod zu überwinden. Das Verständnis gewinnt eine transzendente Tiefe.
- Ich hab‘, ich habe Herzen
- So treue, wie gebührt,
- Die Heuchelei und Schmerzen
- Nie wissentlich berührt;
- Ich bin auch ihnen wieder
- Von Grund der Seelen hold,
- Ich lieb‘ euch mehr, ihr Brüder,
- Als aller Erden Gold.
- Strophe 5:
 Zum Schluss erfolgt eine Selbstvergewisserung. Das lyrische Ich bezeugt, dass es treue Freunde hat und selbst treu ist. Hermeneutisch wird das zuvor Idealische auf konkrete Erfahrung bezogen. Die Aussage korrigiert sich insofern, dass sie nicht nur Forderung, sondern auch persönliche Realität ist.
 
- Strophe 5:
Aussagen des Gedichtes
Das Gedicht zeigt,
- dass Freundschaft das höchste menschliche Gut nach Gott ist.
- Es entfaltet Schritt für Schritt, dass Freundschaft auf
- Treue
- Kommunikation
- geteiltem Leid und Freude
- sowie auf gegenseitiger Verlässlichkeit gründet.
 
- Hermeneutisch wächst das Verständnis vom allgemeinen Ideal über praktische Ausgestaltung hin zu religiöser Überhöhung und persönlicher Bekräftigung.
Welche sprachlichen u.a. Mittel unterstützen die Aussagen des Gedichtes
- Anaphern (‚Der Mensch hat nichts so eigen…‘): verstärken den emphatischen Ton der Eingangsstrophe.
- Parallelismen (‚Mit Herzen, Mund und Hand‘): unterstreichen die Ganzheitlichkeit der Freundschaft.
- Kontraste (Freude/Leid, Leben/Tod): machen die existentielle Dimension der Freundschaft deutlich.
- Hyperbel (‚Geh‘ auf den Grund der Höllen‘): veranschaulicht die übermenschliche Kraft, die Freundschaft verleihen kann.
- Metaphorik des Bundes (‚Bundsgesellen‘): zeigt Freundschaft als verbindliches, fast sakrales Verhältnis.
Frage der Zugehörigkeit zur Barocklyrik
1. Typische Merkmale des Barock
- 
Starke Normorientierung und Didaktik 
 Das Gedicht vermittelt eine klare Lehre: Freundschaft und Treue sind höchste Werte des menschlichen Zusammenlebens. Moralische Belehrung ist ein zentraler Zug barocker Lyrik.
- 
Religiöse Einbindung 
 Gott wird als oberster Bezugspunkt eingeführt (Strophe 4). Dieses Ineinander von Weltlichem (Freundschaft) und Transzendentem (Gott, Hölle, Tod) entspricht dem barocken Denken, das menschliches Leben stets im Horizont des Göttlichen sieht.
- 
Antithetik 
 Typisch barock ist die Gegenüberstellung von Gegensätzen: Freude vs. Leid, Leben vs. Tod, Einsamkeit vs. Gemeinschaft. Damit spiegelt sich die barocke Weltsicht, die vom Schwanken zwischen Diesseitslust und Jenseitsbewusstsein geprägt ist.
- 
Rhetorische Strenge 
 Die Verwendung von Parallelismen, Anaphern und fest gefügten Strophen zeigt die barocke Vorliebe für Ordnung, Symmetrie und kunstvolle Sprachgestaltung.
2. Abweichungen vom „typisch Barocken“
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Keine Vergänglichkeitsthematik (Vanitas) 
 Viele barocke Gedichte kreisen um die Vergänglichkeit alles Irdischen („memento mori“). Dachs Gedicht stellt dagegen die Beständigkeit und das „Trotz dem Tod“-Moment in den Mittelpunkt.
 → Es wirkt damit optimistischer als viel klassische Barocklyrik.
- 
Keine weltabgewandte Askese 
 Statt Betonung des Rückzugs aus der Welt wird hier die Gemeinschaft mit Menschen gefeiert. Der „weltfreudige“ Ton macht das Gedicht eher zu einer Brücke zur frühen Aufklärung.
Versuch einer Erklärung mit Blick auf die Biografie des Dichters
Dieses Gedicht steht damit bereits in einem Übergangsfeld zur Aufklärung.
Da fragt man sich natürlich, ob das zum Leben des Dichters in einer bestimmten historischen Epche passt.
1. Historischer Kontext – klar im Barock
- 
Dach lebte mitten im Dreißigjährigen Krieg. Königsberg war zwar nicht das unmittelbare Schlachtfeld, aber doch von Not, Angst und Unsicherheit geprägt. 
- 
Diese Epoche brachte das barocke Grundgefühl hervor: die Brüchigkeit allen Lebens, das Bewusstsein von Tod, Leid und göttlicher Vorsehung. 
- 
Auch in Dachs Gedichten finden sich häufig religiöse Bezüge, wie auch hier in der Freundschaftsdichtung, wo Gott über allem steht. 
2. Persönliche Lage – zwischen Elend und geistiger Blüte
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Dach war Professor für Poesie in Königsberg und zugleich ein geselliger, von Freunden umgebener Mensch. 
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Die Königsberger Dichtergruppe (u.a. Heinrich Albert, Martin Opitz als Einfluss) pflegte eine eher lebensfrohe Geselligkeit: man traf sich in Gärten, sang Lieder, sprach über Poesie. 
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Trotz der Kriegsnot entstand dort eine Insel der Gemeinschaft, die fast schon den Ton der späteren Aufklärung vorwegnimmt: Vernunft, Gespräch, gegenseitige Hilfe, Humanität. 
3. Übergangscharakter
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Typisch barock bleibt das Bewusstsein von Tod, Hölle und göttlicher Ordnung (siehe Strophe 4: „Geh auf den Grund der Höllen / Und breche durch den Tod“). 
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Aber gleichzeitig bricht sich ein neuer, optimistischer Ton Bahn: Freundschaft als Halt, Sprache als Medium des Austauschs, Gemeinschaft als Lebenssinn. 
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Das entspricht der frühen Entwicklung zur Aufklärung: nicht nur Frömmigkeit, sondern auch Vertrauen auf menschliche Vernunft und Geselligkeit. 
Fazit
Dachs Lebensumstände – Kriegserfahrung, gleichzeitig aber akademisches und geselliges Umfeld in Königsberg – spiegeln genau die Spannung, die auch das Gedicht trägt: barocke Ernsthaftigkeit verbunden mit einem fast aufklärerischen Vertrauen in menschliche Freundschaft und Kommunikation.
Weitere Infos, Tipps und Materialien
- Barock, bsd. Lyrik
 https://textaussage.de/lyrik-der-epoche-des-barock-themenseite
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- Barock – die wichtigsten Gedichte
 https://textaussage.de/barock-die-wichtigsten-gedichte
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- Infos, Tipps und Materialien zur deutschen Literaturgeschichte
 https://textaussage.de/deutsche-literaturgeschichte-themenseite
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