Anders Tivag, „Wenn im Deutschunterricht aus Anspannung Spannung wird“ (Mat5872)

Anders Tivag

Wenn im Deutschunterricht aus Anspannung Spannung wird

Vorspann für die, die wenig Zeit haben:

  • Literatur ist kein Folterinstrument (außer vielleicht mal für den Autor 😉
  • Vielmehr ist sie mehr oder weniger ein Bekenntnis des Autors oder der Autorin, die outen sich gewissermaßen.
  • Da ist es doch eigentlich eine schöne Aufgabe, diesen Autoris ein bisschen „auf die Schliche“ zu kommen, sich von dem, was sie rausgehauen haben, ein angemessenes, aber auch eigenes Bild zu machen.
  • Das alles nennen wir „Spannung“ – und das kann Freude machen.
  • Und wenn wir die gehabt haben, dann kann man auch noch die Schubkästen der Erwartungen füllen, wie sie in Klausuren und Prüfungen gefordert werden. Und – an der einen oder anderen Stelle werden diese Kästen dann überquellen und Zusatzpunkte einbringen.

Nun die gesamten Überlegungen für die, die Zeit und Lust haben, sich darauf einzulassen.

Kleine Vorbemerkung:

Die, die gerne Hörbücher hören, können sich einfach diese Audio-Fassung auf die Ohren legen – dann kann sie nichts mehr stören 😉

Das Leben hält viele Herausforderungen bereit, die zur Anspannung führen. Dagegen ist auch nichts einzuwenden. Schon unsere Vorfahren haben gewusst, dass man sein Ziel nicht erreicht, wenn man nicht rechtzeitig die Pferde anspannt. So ist dann auch diese Altersmetapher „an-spannen“ wohl entstanden.

Es ist sicherlich gut, wenn dieses Prinzip auch in der Schule erstens sichtbar wird und zweitens zu Erfolgen führt.

Allerdings würde man sich wünschen, dass dieset Anspannung häufiger auch Spannung vorausgehen würde.

Das gilt besonders für den Deutschunterricht, der zu häufig aus einem elenden Abarbeiten von Checklisten besteht.

Vielleicht wäre die Begeisterung für Gedichte zum Beispiel größer, wenn man nicht als erstes nach den sprachlichen Mitteln fragen würde. Dann ist meistens die Stimmung schon im Eimer oder auf Normalniveau, was in der Schule häufig nichts Gutes bedeutet.

Um im Bild des Aufbruchs mit Pferden zu bleiben:
Vielleicht heißt das beim Umgang mit Gedichten, dass man die Beschäftigung von vorne aufzäumt und nicht von hinten. D.h.: Zunächst geht es um die Spannung, die sich ergibt, wenn die direkte oder indirekte „Selbstoffenbrung“ eines anderen Menschen (denn nichts anderes sind Gedichte) zu etwas führt zwischen Zuspruch und Widerspruch.

Jeder kennt das, wenn er sich seine Musiksammlung mal anschaut. Da ist nur das übrig geblieben, was ihn angesprochen hat, manchmal erst aus einer Anfangsphase des Widerstands heraus.

Zurück zu den Gedichten, die ja zunächst nichts anderes sind als Songs ohne Melodie. Natürlich haben sie hoffentlich eine ganz eigene Sprachmelodie, sind aber in der Regel nicht vertont.

Also wäre es doch schön, wenn bei jeder Behandlung eines Gedichtes im Unterricht zunächst mal Unverständnis und vielleicht sogar Ärger erlaubt wären. Dann kann man sich nämlich auf einen gemeinsamen Weg der Annäherung an den Text machen.

Im normalen Unterricht dürfte ein entsprechender Austausch überhaupt kein Problem sein. Das setzt allerdings voraus, dass auch Lehrkräfte häufiger „aus ihrem Herzen keine Mördergrube“ machen, sondern sich auch als Leser outen, die sich hin und wieder aufregen oder nach dem Sinn eines Textes fragen.

Am besten geht das übrigens, wenn man ein neues Gedicht einfach so im Unterricht einsetzt, ohne vorher die typischen Lehrerhilfe studiert zu haben und sich dann zu wundern, dass die Schülis nicht auf das kommen, aus das sie auch nicht selbst gekommen sind.

Was ist aber mit den vorgegebenen Anforderungen in Klausuren und mündlichen Prüfungen?

Da macht man keine gute Figur, wenn man im bunten Anzug des Eigensinns auftritt statt brav gewissermaßen die aus den Lehrbüchern geborgte Uniform der Interpretation zu tragen.

Es gibt nun mal diejenigen, die das Sagen haben.

Das muss man auch ernst nehmen, denn ein Schülerleben ist kein Feld für Lehrerexperimente. Warum aber nicht ein bisschen Selbsthilfe wagen?!

Die könnte darin bestehen, dass man zunächst mal den oben angedeuteten spannungsreichen Prozess der Annäherung an ein Gedicht o.ä. übt. Wenn das gelungen ist, die Angst vor den fremden Texten verschwindet, muss man nur noch eine Art Zwei-stufen-Katalysator verwenden. Wir wissen nicht genau, was das ist, finden den Begriff aber schön und verstehen darunter Folgendes

In einem ersten Schritt macht man sich wirklich mit dem Gedicht vertraut, behält aber natürlich Aufgabe und Zeitrahmen im Auge. Am Anfang steht also das Bemühen um Verständnis des Textes.

Wenn das ausreichend erreicht ist, schalter man (natürlich rechtzeitig!!!)  um auf Sortierung.

D.h. das, was man mit wachsendem Verständnis sich auf das Notizblatt gemalt hat, muss man nur noch in die Form der Vorgaben gießen.

Dann merkt man nicht nur, was dabei alles unberücksichtigt bleibt, sondern kann sich auf das konzentrieren, was beim korrigierenden oder bewertendenden Gegenüber vielleicht sogar Begeisterung auslöst. Eine verständnisvolle Lehrkraft hat zumindest die Möglichkeit, bei den einzelnen Aufgaben Zusatzpunkte zu geben.

Auf jeden Fall sollte ein solches Zwei-Stufen-Verfahren falsche Anspannung zunächst einmal reduzieren. Das allein kann dann schon zu deutlich besseren Ergebnissen führen, getreu dem Spruch: Nicht für die Schule (und ihre Checklisten) lernen wir, sondern für das Leben – in diesem Falle echte Bildung, die auch nach der Schule noch mehr ist als Schublade und schlechte Erinnerung.

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