Anstoßtext: Ärger über große Geister – manchmal ist er nützlich! (Mat 7102)

Warum der Ärger über „große Geister“ manchmal auch gut ist …

Am Beispiel eines Textes von Schopenhauer wird gezeigt, dass es manchmal auch gut ist, wenn man sich über große Geister ärgert. Man stimmt ihnen zwar nicht in allem zu, aber sie bringen einen auch auf gute bzw. bessere Gedanken. Einfach mal ausprobieren.

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Mat514 Ärger über große Geister nützlich

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Wieso der Ärger über große Geister auch nützlich sein kann
Viele Schüler fragen sich, warum sie sich in der Schule mit den Gedanken großer
Philosophen beschäftigen sollen. Meistens lautet die Antwort, dass man von ihnen lernen
könne. Das wollen wir auch gar nicht bestreiten. Uns interessiert ein anderes Phänomen viel
mehr, nämlich der Ärger, ja sogar der Zorn, den man empfinden kann, wenn so ein großer
Geist entweder Unsinn redet oder sogar eine Macke hat, was seine Grundüberzeugungen5
angeht.
Nun ist das natürlich noch nichts Positives, außer dass man das Gefühl bekommt, an einer
Stelle zumindest einmal ein bisschen schlauer gewesen zu sein als solch eine Geistesgröße.
Es kommt aber noch etwas hinzu und das kann man sehr schön am Beispiel der Vorstellung
des Philosophen Schopenhauer vom Glück zeigen.10
In seinen sogenannten Aphorismen (meist kurz gefasste Denkanstöße) zur Lebensweisheit
von 1851 behauptet er doch allen Ernstes, dass Schmerz positiver Natur sei1
. Er begründet
das dann allerdings damit, dass Schmerz zu Schmerzlosigkeit führen könne. Diesen Zustand
hält er für das höchste Glück, das der Mensch im Leben nur erreichen kann. Für ihn ist der
der glücklichste, der sein Leben ohne übergroße Schmerzen, sowohl geistige, als15
körperliche, hinbringt; nicht aber der, dem die lebhaftesten Freuden oder die größten
Genüsse zuteil geworden sind. Für ihn sind und bleiben sie negativ: dass sie beglücken ist
ein Wahn, den der Neid zu seiner eigenen Strafe hegt. Die Schmerzen hingegen werden
positiv empfunden: daher ist ihre Abwesenheit der Maßstab des Lebensglückes.
Das ganze Leben erscheint Schopenhauer als eine Art Hölle. Man solle nur als Ziel haben,20
sich in dieser Welt eine feuerfeste Stube zu verschaffen.
Spätestens hier merkt man, dass Schopenhauer eine sehr besondere Sicht auf die Welt hat,
die die meisten Menschen nicht teilen werden. Natürlich hat er recht, wenn er darauf
hinweist, dass vieles, was man für Glück hält oder als Glück anstrebt, nur von kurzer Dauer
ist. Jeder, der einmal kurz verliebt war, kennt das Problem. War man aber deswegen nicht25
glücklich? Was ist mit denen, die im Moment des Glücks sterben? Soll man die bedauern?
Vor allem ist Schopenhauer sehr ungenau, was die Schmerzen angeht. Was ist mit denen,
die sich einen Berg hochgequält haben, vielleicht sogar Gefahren in Kauf genommen haben,
um dann wirkliches Gipfelglück zu erleben. Was ist mit der Fußballmannschaft, die in einem
Spiel alles gegeben hat, vielleicht sogar Verletzte zu beklagen hat, sich dann aber über30
einen grandiosen Sieg freuen kann.
Aber unser Thema ist ja nicht die Kritik an großen Geistern, sondern das Gute, was auch in
berechtigtem Ärger liegen kann. In einem Punkt hat Schopenhauer wirklich Recht. Er
verweist nämlich darauf, dass man wirkliches Glück möglicherweise immer erst dann voll
und ganz erlebt, wenn man durch Schmerzen daran erinnert wird. Jeder, der mal etwas35
schwerer erkrankt war, weiß, dass man nach der Gesundung das Glück der Normalität
einige Zeit sehr viel intensiver empfindet. Vielleicht hilft dann sogar ein Philosoph wie
Schopenhauer, Schmerzlosigkeit etwas bewusster zu empfinden und darin sogar Glück zu
sehen. Und Schüler mag es bei der häufig anstrengenden Lektüre großer Geister trösten,
dass man eben manchmal viel Aufwand betreiben muss, um im Sand eines Flusses oder im40
Geröll eines Berges Gold zu entdecken. Gut, dass wir die Schmerzen auf uns genommen
haben, die die Lektüre Schopenhauers bereiten kann, um am Ende den einen guten
Gedanken zu entdecken, der uns glücklicher macht.
1 Dieses Zitat ist zu finden auf: http://gutenberg.spiegel.de/buch/aphorismen-4996/7 (03.03.2018)

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