Anstoßtext: „Wartet nicht mit meinem Nachruf oder: Warum wir offener miteinander umgehen sollten!“ (Mat278)

Worum es hier geht:

  • Im Unterricht braucht man als Lehrer immer wieder Texte, die Nachdenklichkeit erzeugen und Diskussionen „anstoßen“. In diesem Falle geht es um die Frage, ob man nicht lieber schon im Leben anderen Menschen viel häufiger sagen sollte, was man an ihnen gut findet.
  • Der Text geht aus von der schönen Praxis, nach dem Tod von Menschen vor allem das Gute an ihnen und ihren Taten hervorzuheben. Daraus wird provokativ die Frage abgeleitet, ob man mit solchen Nachrufen nicht viel früher beginnen sollte. Sonst verschenkt man viel kostenlosen „Treibstoff“ für den Motor des Lebens und des Glücks.
  • Eine fiktive Mail eines Schülers an seine Freunde, in der er sie bittet, ihm möglichst schon jetzt eine Art „Nachruf“ zu schreiben

Der Text des Materials

Wartet nicht mit meinem Nachruf

Mail an meine Freunde

Letztens kam mir ein schrecklicher Gedanke – ich hatte gerade den Fernseher angemacht und gerate da in so eine Trauerfeier. Es ging um einen Schüler, der sich das Leben genommen hatte.

Er hatte wohl Depressionen, wurde auch gemobbt – und jetzt wurde alles zusammengetragen, was man Gutes über ihn sagen konnte – und es war ziemlich viel. Aber es musste alles mühsam zusammengetragen werden. Wahrscheinlich hatten sie tagelang recherchiert. Jedenfalls sahen sie alle ziemlich betroffen aus, die da zuhörten.

Da kam mir dieser Gedanke: Warum muss man so lange damit warten. Das zu sagen, was an einem Menschen gut ist. Vielleicht wäre dieser Schüler dann viel stärker gewesen, hätte sich wohler gefühlt und wäre auch nicht gemobbt worden. Denn das geschieht doch vor allem mit denen, die sich selbst auch nicht gut leiden können oder nicht in der Lage sind stark aufzutreten.

Ich habe mir dann vorgestellt, was eines Tages über mich gesagt werden könnte, wenn ich dies Leben hinter mir habe. Es war gar nicht so einfach – ich hatte auch noch nie drüber nachgedacht.

Sind ja auch seltsame Sachen, von denen man so gut wie nie etwas hört. Solange man noch nicht am Ende ist – oder eben schon darüber hinaus.

Jedenfalls habe ich beschlossen, meinen Nachruf schon mal probeweise selbst zu schreiben – und es wäre schön, wenn ihr mir dabei helfen würdet. Schreibt mir also einfach, was ihr an mir gut findet. Mit meinen Fehlern lasst mich lieber in Ruhe – ich habe letztens in einer Talkshow von einer schlauen Frau gehört, dass man sich mit seinen Fehlern gar nicht groß beschäftigen sollte. Die kann man sowieso nicht ändern. Man soll seine Stärken stärken – das hörte sich so schräg an, dass ich es mir sogar gemerkt habe. Also – ich will nur Gutes über mich hören – wie auf einer anständigen Trauerfeier – nur mit dem Unterschied, dass ich dann noch etwas davon habe.

Sagt mir nicht, ich würde dann vielleicht überheblich. Das sei schließlich der Grund, warum man erst über Tote Gutes sagt. Natürlich gibt es die Gefahr – aber die meisten Menschen fühlen sich kleiner, als sie sind, und müssen deshalb größer auftreten, als sie sind. Moment, das ist ja ein richtig toller Satz, über den muss ich noch mal nachdenken: Aber stimmt – diese ganze Angeberei von wegen „Ich bin der Größte“ und so – das geht doch häufig von Leuten aus, die sich dazu richtig aufblasen müssen. Ich habe in einem Song mal gehört, das wirkliche Stärke leise sei. Hat mich überzeugt.

Also: Kommt mit der Nadel und piekst mich an, wenn mein Luftballon zu groß wird. Aber helft mir, wenn ich mir ein eigenes Haus bauen will. Sagt mir, wie es eurer Meinung nach aussehen könnte, weil ihr wisst, was ich kann und was ich brauche, aber lasst es mich am Ende selber bauen.

Ihr könnt dann ja kommen, wenn es fertig ist, und eine große Rede halten von all dem, was schön geworden ist – die höre ich dann wenigstens auch noch rechtzeitig.

Max Sahlberg

Aufgaben:

  1. Was ist das Besondere an Nachrufen, also Reden oder Anzeigen, in denen man an einen Menschen denkt, der gerade gestorben ist.
  2. Warum will dieser Max Sahlberg, dass seine Freunde schon vor seinem Tode ihm schreiben, was sie über ihn denken?
  3. Was hältst du von der Behauptung, es bringt nichts, wenn man sich groß mit seinen Fehlern beschäftigt, man soll eher an seinen Stärken arbeiten?
  4. Stimmt es, dass große Angeber eher nur „aufgeblasen“ sind und „wahre Stärke leise“ ist?
  5. Denk dir Beispiele aus, wie man anderen Menschen dadurch helfen kann, dass man ihnen rechtzeitig sagt, was sie gut können und was man toll an ihnen findet.

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