Arno Holz drei kleine Straßen (Mat4198-LV)

Was dieses Gedicht so interessant macht:

Arno Holz gilt als Vertreter des Naturalismus – in diesem Gedicht lernt man ihn aber als Romantiker kennen.

1. Klärung der Textsignale

Als erstes gehen wir die Strophen durch und verschaffen uns einen Überblick über das, was ist das lyrische Ich im Gedicht präsentiert.

Drei kleine Strassen
mit Häuserchen wie aus einer Spielzeugschachtel
münden auf den stillen Marktplatz.

  • Das Gedicht beginnt mit der Beschreibung eines Ausschnitts bei der Betrachtung einer Stadt. Hervorgehoben wird das Spielzeugartige der drei kleinen Straßen und die Stille des Marktplatzes.
  • Das Ganze wirkt eher gemütlich, verspielt.

Der alte Brunnen vor dem Kirchlein rauscht,
die Linden duften.

  • Dem entsprechend wird auch von der Kirche in der Verkleinerungsform gesprochen.
  • Zu früheren Vorstellungen von einem Marktplatz gehören auch zum Beispiel Linden, von denen  wohl ein angenehmer Luft ausgeht.
  • Zu diesem Eindruck, der einem mittelalterlichen Stadtbild nah kommt, gehört auch der alte Brunnen.

Das ist das ganze Städtchen.
Aber draussen,
wo aus einem blauen, tiefen Himmel Lerchen singen,
blinkt der See und wogen Kornfelder.
Mir ist Alles wie ein Traum.

  • Präsentiert wird dann eine Art Summe des Bildes, die ebenfalls noch mal deutlich macht, dass es sich um eine ziemlich kleine Stadt handelt.
  • Dem entgegengesetzt wird ein „draußen“, wo es einen tiefen Himmel gibt und auch mit dem Gesang von Lerchen ein Mehr an Lebendigkeit.
  • Zur größeren Vielfalt gehören wohl auch noch der See und die Kornfelder.
  • Das lyrische Ich macht deutlich, dass ihm das Ganze wie ein Traum vorkommt. allerdings ist nicht ganz klar, ob sich das auf das Doppelbild von Stadt und Landschaft draußen bezieht oder nur auf Letztere.

Soll ich bleiben? Soll ich weiterziehn?
Der Brunnen rauscht . . . die Linden duften.

  • Der Schlussgedanke gehört der Frage des lyrischen Ichs, ob es bleiben soll oder weiterziehen.
  • Am Ende ist wieder von dem Brunnen und den Linden die Rede – und wenn man davon ausgeht, dass das immer am wichtigsten ist, was am Schluss steht, dann ist die Entscheidung möglicherweise schon gefallen.

2. Bündelung der Signale zu Textaussagen

Als Nächstes schaut man, welche Signale es im Text gibt, die man zu Aussagen bündeln kann.

  •  Das Gedicht stellt die vertraute und überschaubare Nähe der Weite dessen gegenüber, was es draußen gibt.

3. Thema

Wenn man die Aussagen des Gedichtes geklärt hat, kann man klären, auf welche Frage sie eigentlich eine Antwort geben. Auf diese Art und Weise erkennt man das Thema des Textes.

  •  Das Gedicht beschäftigt sich mit dem Vergleich einer mittelalterlich wirkenden Kleinstadt und der Weite der natürlichen Landschaft weiter draußen.
  • Daraus entsteht die Frage, ob man bleiben oder weiterziehen soll.

4. Unterstützung der Textaussagen durch künstlerische/sprachliche/rhetorische Mittel

wenn man die Aussagen des Gedichtes und das Thema erkannt hat, kann man sich anschauen, welche besonderen Mittel der Autor verwendet hat, um etwas zu verdeutlichen. Wichtig ist dabei, nicht alles Mögliche aufzulisten, sondern einen Zusammenhang herzustellen zwischen Inhalt und den den verschiedenen Mitteln, die einem Schriftsteller zur Verfügung stehen.

  • Vergleiche:
    „wie aus einer Spielzeugschachtel“
    “wie ein Traum“
  • Gegensatz
    zwischen „drinnen“, der kleinen Stad
    und „draußen“, der Welt der Ferne und des Himmels
  • Und schließlich eine Frage, die nur das lyrische Ich selbst beantworten kann:
    “Soll ich bleiben? Soll ich weiterzieh‘n?“
  • Eine gewisse Tendenz wird deutlich durch die Wiederholung eines Elements aus der Beschreibung der kleinen Stadt:
    “Der alte Brunnen vor dem Kirchlein rauscht“
    “Der Brunnen rauscht“
  • Eine wichtige Rolle spielen auch die Verkleinerungsformen
    “Kirchlein“
    “Städtchen“

Tipps für den eigenständigen/kritischen/kreativen Umgang mit dem Text

  • Das Gedicht wirkt insgesamt sehr knapp und reduziert. Es beschränkt sich auf Eindrücke, die aber zum Teil auch mit Erinnerungen (wahrscheinlich aus der Kindheit) verbunden werden.
  • Arno Holz gilt als Vertreter des Naturalismus und des Impressionismus. Beide Strömungen sind in diesem Gedicht sichtbar.
    • Auf der einen Seite die Wahrnehmung dessen, was ist beziehungsweise spürbar wird: „Naturalismus“.
    • Das wird allerdings verbunden mit Stimmungen und Erinnerungen. Es kommt also darauf an, wie die Eindrücke von außen beim Menschen ankommen („Impressionismus“)
  • Vergleichen kann man die nachdenkliche Betrachtung mit dem Gedicht „Der Radwechsel“ von Bertolt Brecht.
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  • Insgesamt lässt das Gedicht den Leser etwas ratlos zurück. Viel kann man diesem Gedicht nicht entnehmen außer der Anregung, sich selbst mit diesem Gegensatz von Vertrautheit und neuer Weite zu beschäftigen.
  • Die Frage könnte auch sein, ob  dieses Gedicht einen Punkt im Leben eines Menschen beschreibt, an dem er am Ort seiner Jugend bleibt oder sich neuen Erfahrungen und dem Abenteuer des „Draußen“ widmet.
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  • Kreative Anregung: Man könnte sich selbst einen Ort mit einer Perspektive suchen, die einen vor eine Entscheidung bringt.
    • Zum Beispiel kann es jemandem so nach Schulschluss gehen, wenn er vor der Frage steht, ob er jetzt direkt nach Hause fährt und sich den Schulaufgaben widmet oder das schöne Wetter einfach nutzt für irgendein schönes Erlebnis. Hierbei ginge  es dann weniger um äußere Elemente als vielmehr innere Bilder bzw. Vorstellungen. Aber das spielt ja auch schon im zweiten Teil des Gedichtes von Arno Holz wohl eine wichtige Rolle.
    • Wenn man noch einen Platz sucht, von dem aus zwei ganz unterschiedliche Landschaften zu sehen sind, kann man zum Beispiel von  einer Stelle in den Bergen ausgehen.
      Auf der einen Seite eine wilde Landschaft mit Schluchten und steilen Gipfeln, verbunden mit der Vorstellung von Anstrengung,
      auf der anderen Seite der Blick in eine sonnenbeschienen Tallandschaft, die einfach nur noch Wohlgefühl auslöst.

Weitere Infos und Möglichkeiten der Annäherung an den Text

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