Bertolt Brecht, „Terzinen über die Liebe“ oder auch „Die Liebenden“ – Interpretationsanmerkungen (Mat4370)

Das Problem der verschiedenen Überschriften

Es ist immer ein bisschen ärgerlich, wenn ein Gedicht unter verschiedenen Titeln und in leicht unterschiedlichen Versionen aufgeführt wird – ohne dass das literaturwissenschaftlich leicht sich auflösen ließe.

Wir kümmern uns hier nicht weiter drum, sondern verweisen nur kurz auf die verschiedenen Fassungen und helfen beim Verständnis dessen, was in beiden Versionen gleich ist.

Das Gedicht ist z.B. hier unter der Überschrift „Terzinen über die Liebe“ zu finden.

Hier gibt es eine wissenschaftliche Arbeit, die das Gedicht auch unter diesem Titel behandelt.

Unter der überschrift „Die Liebenden“ ist das Gedicht hier zu finden.

Eine Übersicht und Auswertung verschiedener Interpretationen findet sich hier.

Anmerkungen zu den verschiedenen Überschriften

Variante 1: „Die Liebenden“

  • Diese Überschrift ist leicht zu verstehen.
  • Es geht also um Liebende.
  • Leserlenkung: Was damit genau gemeint ist, bleibt erst mal unbestimmt.

Variante 2: „Terzinen über die Liebe“

  • Bei der anderen Überschrift ist es mal wieder so, dass man ein Element der Überschrift nachschlagen muss oder man bekommt es – etwa in einer Klausur – mit der Aufgabenstellung mitgeliefert.
  • Denn es gehört wohl kaum zur Schülerallgemeinbildung, dass man diesen Begriff kennt.
  • Wikipedia dazu:
    „Die Terzine ist eine gereimte und aus beliebig vielen Strophen bestehende Gedichtform italienischer Herkunft. Jede Terzinen-Strophe besteht aus drei Versen. In Terzine steckt das italienische Wort terzo „dritter“, womit auf das strukturierende Prinzip dieser Gedichtform verwiesen ist.

Anmerkungen zu Strophe 1

Wir verwenden hier den Text, der in „Die Gedichte von Bertolt Brecht in einem Band“, Suhrkamp 1981, S. 1129ff abgedruckt worden ist. Die Aufteilung in 3-Verse-Strophen nutzen wir aber, weil die das Gedicht übersichtlicher macht.

  • Das Gedicht beginnt mit der Aufforderung, zum Himmel und dort zu den Kranichen aufzuschauen.
  • Der Blick wird dann auf die am Himmel dahin ziehenden Wolken gerichtet.
  • Und es wird behauptet, dass Wolken und Kraniche von Anfang an beisammen gewesen sein.

Anmerkungen zu Strophe 2

  • Die zweite Strophe behauptet, dass die gemeinsame Flugformation von Kranichen und Wolken sich aus einem Leben in ein anderes Leben begebe.
  • Was damit konkret gemeint ist, könnte man bei den Kranichen noch annehmen als Verlagerung des Ortes entsprechend der Jahreszeit.
  • Bei den Wolken macht es aber genauso wenig Sinn wie die Behauptung, dass Wolken und Kraniche schon längere Zeit zusammen geflogen sind. Das gilt allenfalls für kurze Zeit. Denn die Kraniche werden wohl ihren Flug nicht auf Dauer am Flug der Wolken und dem damit herrschenden Wind ausrichten, wenn sie ganz woanders hinwollen.
  • Am Ende dieser Strophe ist dann auch die Rede davon, dass es sich hier um einen Schein handelt. D.h. alles, was hier präsentiert wird, geschieht wohl oder entstammt der Fantasie des lyrischen Ichs.

Anmerkungen zu Strophe 3

  • In dieser Strophe geht es um eine Fortführung der Fantasie, die dem Vorgestellten sogar eine gewisse Absicht unterstellt.
  • Allerdings bekommt man hier auch eine zusätzliche Information. Der Flug der Kraniche ist hier wohl nur kurz und dann kann man natürlich der These des lyrischen Ichs leichter erfolgen, dass sie zusammenbleiben.

Anmerkungen zu Strophe 4

  • Diese Strophe führt den Gedanken noch weiter.
  • Es wird davon ausgegangen, dass Kraniche und Wolken sich tatsächlich für die Begleitung interessieren.
  • Bei den Kranichen können ebenfalls Biologen erklären, dass sie wirklich auf die Wolken und damit den begleitenden Wind achten.
  • Bei den Wolken ist es natürlich Unsinn, dass die Begleitung durch Kraniche für sie eine Rolle spielt.

Anmerkungen zu Strophe 5

  • In dieser Strophe geht die Fantasie noch einen Schritt weiter.
  • Das Ziel der gemeinsamen Bewegung ist letztlich gleichgültig. Sogar irgendein Nichts ist für das lyrische Ich vorstellbar.
  • Hervorgehoben wird die Bedeutung der Gemeinsamkeit für Kraniche und Wolken.
  • Das Gedicht bleibt hier auf der gleichen Fantasieebene, der man schon vorher nicht unbedingt folgen konnte.

Anmerkungen zu Strophe 6

  • In dieser Strophe geht es darum, dass man Wolken und Kraniche vertreiben können, etwa durch Regen oder durch Schüsse.
  • Jetzt ist es natürlich völlig unrealistisch gewesen geworden, denn die Wolken interessieren sich für kaum für Schüsse, Kraniche aber sicherlich wohl.

Anmerkungen zu Strophe 7

  • Am Anfang wird noch einmal der Eindruck, den die gemeinsame Bewegung von Wolken und Kraniche hervorruft, zusammengefasst.
  • Behauptet wird jetzt sogar etwas, was für menschliche Beziehungen sicherlich gilt, aber kaum für das Zusammenspiel von Kranichen und Wolken, nämlich dass die Beteiligten sich regelrecht verfallen sind.
  • Die nächsten Zeilen fragen und beantworten die Frage nach dem Ziel („Nirgendhin“) und nach der Distanzierung („Von allen“).

Anmerkungen zu Strophe 8

  • Am Ende wird noch einmal hervorgehoben, dass diese Konstellation erst seit kurzem besteht und bald auch vergehen wird.
  • Am Ende lässt das lyrische Ich endlich die Katze aus dem Sack und teilt dem Leser die eigentliche Botschaft des Gedichtes mit:
    … nämlich dass die Liebe nur ein kurzzeitiger scheinbarer Halt ist zwischen den Liebenden.

Zusammenfassende, kritische und kreative Anmerkungen zum Gedicht

  • Wer auch nur ein bisschen nicht von der eigenen Betroffenheit ausgeht, sondern von dem allgemeinen Phänomen der Liebe, der weiß natürlich, dass es sich hier um eine Art Selbst-Beruhigung handelt.
  • Das lyrische Ich nutzt hier den Augenblicks-Eindruck einer Gemeinsamkeit von Kranich- und Wolkenflug, um sich einzureden, dass es nur Kurzzeitlieben gibt.
  • Hier wäre es sicherlich reizvoll, mal zu recherchieren, wie oft Liebe mehr zu bieten hat als kurzzeitigen und scheinbaren Halt.
  • Sehr gut vergleichen kann man vor diesem Hintergrund Brechts Gedicht mit der Variante „Zwei Segel“ von Conrad Ferdinand Meyer.
    https://www.mein-lernen.at/deutsch/gedicht-zwei-segel-conrad-meyer-interpretation

Wer noch mehr möchte …