Brentano, „Der Spinnerin Nachtlied“ (Mat5575)

Worum es hier geht:

Vorbemerkung:
Wer Hilfen beim Verständnis dieses Gedichtes und der damaligen Zeit braucht, findet hier Erklärhilfen:
https://textaussage.de/brentano-der-spinnerin-nachtlied-support

Zur Interpretationsmethode

Wir testen einfach mal unsere aktuelle Interpretationsmethode aus, die im Prinzip aus zwei Schritten besteht:

Es geht um das Gedicht „Der Spinnerin Nachtlied“ von Clemens Brentano

Quelle: Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 131.
Permalink: http://www.zeno.org/nid/20004596382

Interpretationsschritt 1: Gesamtverständnis

https://textaussage.de/video-hedwig-dransfeld-mittagszauber

  • Erste Durchsicht
  • Klären, welche Stellen wichtige Signale aussenden
  • Dann die Signale vorläufig bündeln
  • Und daraus Aussagen „herausdestillieren“
  • Wenn man die hat, kann man die zugrundeliegende Themafrage formulieren.

Ergebnis der Schritt-1-Bearbeitung

Ergebnisse: Was schnell klar wird:

  1. Überschrift:
    1. Perspektive einer einfachen Frau, Arbeiterin
    2. Zunächst unklar, ob sie bei der Arbeit singt oder danach, das wird aber in Strophe 2 klar.
  2. Strophe 1:
    1. Ausgangspunkt ist der Rückblick auf ein früheres Zusammensein.
    2. Inwieweit es um Liebe geht, bleibt unklar.
    3. Auf jeden Fall ist klar, dass der Gesang der Nachtigall hier die Begleitmusik präsentiert hat.
  3. Strophe 2:
    1. Der Gesang ist die einzige Möglichkeit, Gefühle auszudrücken, zum – wohl erlösenden – Weinen reicht es nicht.
    2. Die Frau ist allein.
    3. Sie betont die Güte des Stoffes, vielleicht auch ihrer Arbeit
      Hypothese: Das könnte im Vergleich zu ihrem Leiden etwas Positives sein, das sie neben dem Gesang aufrecht erhält.
    4. Der Hinweis auf den Mond könnte bedeuten, dass sie nur solange arbeiten kann, wie der Mond noch Licht gibt.
  4. Strophe 3:
    1. Nachtigall als Dauer-Begleitphänomen des Zusammenseins
    2. wird zur traurigen Verlust-Erinnerung.
    3. Unklar bleibt, hinter dem „von mir gefahren“ steckt.
      Typisch für ein Volkslied, dass jeder Zuhörer seine eigenen Vorstellungen hineinpacken kann.
  5. Strophe 4:
    1. Übertragung auf die Mondschein- und Arbeits-Situation
    2. Betonung der Klarheit und Reinheit des eigenen Herzens
      Klarheit spricht etwas gegen die Annahme, dass die Frau die Arbeit zur Beruhigung braucht, vielleicht nur zur Ablenkung.
    3. Hoffnung auf Gott, Bitte an ihn
      möglicherweise dient der Hinweis auf eigene Reinheit als Unterstützung der Bitte.
  6. Strophe 5:
    1. Gewisse Wiederholung: Nachtigall als Dauer-Begleitphänomen,
    2. das die Erinnerung unterstützt.
  7. Strophe 6:
    1. Wiederholung der Bitte in Richtung Gott
    2. Unterstützung durch den Hinweis auf Fleiß und Einsamkeit
    3. Am Ende nur noch Beschreibung der Situation
    4. Ringschluss zum Anfang hin
      —

Bestimmung der Aussage(n) des Gedichtes

Das Gedicht zeigt:

  1. Das Leiden eines zurückgelassenen Menschen, der sich nach dem sehnt, der ihn verlassen hat
  2. das Singen der Nachtigall als Erinnerungsunterstützung
  3. Woraus dann auch Mahnung wird.
  4. Singen als Ersatz für das nicht gelingende und vielleicht erlösende Weinen
  5. Hinweis auf die Güte/Sorgfalt des Stoffs und vielleicht auch der Arbeit
  6. Einbeziehung des Mondes als notwendige Lichtquelle
  7. Interessante (literarisches Mittel) Übertragung der Attribute des Herzens auf die des Mondes („klar und rein“
  8. Wendung an Gott mit Bitte, vielleicht auch Hoffnung (evtl. die Selbstbeschreibung als „klar und rein“ als Unterstützung dieser Bitte)
  9. Unklare Schluss-Situation: Eher Ermüdung als Verstärkung der Hoffnung, erkennbar am Ringschluss zum Anfang hin.

Unterstützung der Aussagen durch literarische Mittel

  • Uns geht es eher um strategische Mittel als das Herausfinden irgendwelcher isolierter Elemente aus einer Checkliste
  • Zentrales Element die Nachtigall
    hier könnte man prüfen, welche Bedeutung dieser Vogel und sein Gesang gemeinhin in der Literatur haben
  • Nachtigall als Begleitphänomen mit der Funktion:
    • Ermöglichung von Erinnerung
    • aber auch Mahnung, hängt mit dem Aspekt Treue zusammen
  • Mond neben der Nachtigall zweites Begleitphänomen, dem sich das lyrische Ich verbunden fühlt
  • Verzicht auf Details der Beziehung
    günstig für Volksliedfunktion
  • Offener Schluss passt auch gut zum Volkslied – es geht hier um Schilderung und vielleicht auch Bewältigung einer andauernden Gefühlssituation

 

Interpretationsschritt 2: Zeilenverständnis nach Kategorien

https://textaussage.de/gedichte-knacken-teil-2-verszeilen-beispiel-hedwig-dransfeld-mittagszauber

Der zweite Schritt ist bei diesem Gedicht kaum nötig, weil die Zeilen alle leicht zu verstehen sind.

Das hängt mit dem Volksliedcharakter zusammen.

Nur die Art der Beziehung, die vermisst wird, bleibt offen, aber auch gehört eben – wie schon gesagt – zum Volkslied.

Das Besondere an solch einem Volkslied

  • Wer sich übrigens fragt, warum dieses Lied so einfach zu sein scheint, auch keinen richtigen Fortschritt bietet, nicht mal eine richtige Aussage, der sei auf folgende Seite verwiesen:
    Da erklären wir den Unterschied zwischen einem Volkslied und einem „normalen“ Gedicht.
    Aber es wird auch deutlich, dass bei vielen Songs heute auch gilt: Es kommt weniger auf die Einzelheiten an als die entscheidenden Gefühlsvermittler:
    https://schnell-durchblicken.de/unterschied-zwischen-gedicht-und-lied-volkslied-song

Weitere Infos, Tipps und Materialien