Gottfried Benn, „Kleine Aster“ – mitten im Hässlichen ein bisschen Poesie/Menschlichkeit? (Mat5687)

Worum es hier geht:

Wir präsentieren hier ein Gedicht aus der Zeit des Expressionismus, das auf den ersten Blick einen ertrunkenen Menschen bei der Leichenöffnung zeigt, also in einer sehr hässlichen Situation.

Gottfried Benn hat aber dem nicht nur mit einer zufällig auftauchenden Blume ein bisschen Schönheit entgegengesetzt.

Vielmehr hat er sie am Ende dazu benutzt, selbst dieser Leiche noch ein bisschen Menschenwürde zukommen zu lassen – im Sinne von Albert Schweitzers Forderung nach „Ehrfurcht vor dem Leben“ – wir ergänzen hier mal: selbst dann noch, wenn es vorbei ist.

Näheres dazu findet sich hier.

Das zugehörige Video ist hier zu finden:

Hier die Dokumentation zum Video

Gottfried Benn als Dichter des Expressionismus

  • Wer sich ein bisschen mit der Zeit des Expressionismus beschäftigt hat, der weiß, da geht es ganz schön zur Sache.
    Es ist ja die Epoche um den Ersten Weltkrieg herum. Da galt ein Menschenleben nicht mehr viel, zumindest an den Kriegsfronten.
  • Und so gibt es viele Gedichte, die das Grauen dieser Zeit beschreiben.
  • Aber auch schon vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Jahre 1914 gab es Schriftsteller, die mit einer ungewöhnlichen Ausdrucksbereitschaft sich auch den Schattenseiten des menschlichen Lebens zuwandten.
  • Man spricht in der Wissenschaft bei dieser Art von Expressionismus geradezu von einer „Ästhetik des Hässlichen“. Gemeint ist damit nicht mehr, dass man das Dunkle des Lebens wie im „Poetischen Realismus“ gewissermaßen unter einem schönen Filter zeigt, sondern die Realität wird gewissermaßen „ungeschminkt“, aber eben auf kunstvolle Weise gezeigt.
  • Bei Gottfried Benn war es seine Ausbildung zum Militärarzt, die ihm Gelegenheit gab, auch die die hässlichen Seiten des Daseins zu erleben.
  • Zu diesen Gedichten gehört auch „Kleine Aster“, bei dem man sich richtig vorstellen kann, wie es einem Pathologen ergehen kann, der eine Leiche öffnen muss – etwa um die Todesursache festzustellen.
  • Die Frage ist dann: Was bleibt von einem Menschen übrig, wenn der Tod ihn gewissermaßen in der schlimmstmöglichen Verfassung zeigt.

 

Schauen wir uns das Gedicht einfach mal an, das z.B. hier zu finden ist:

https://anja-sieger.de/wp-content/uploads/2018/07/Kleine-Aster.pdf

Aus urheberrechtlichen Gründen verzichten wir auf eine direkte Präsentation, sondern präsentieren nur die Textstellen, die für die Erkenntnis des Wesentlichen wichtig sind.



1.Schon der Anfang weder in der Sache schön noch in der Formulierung. Die passt zum Beispiel nicht zu einer Grabrede.
2.Auch der Umgang mit dem Toten ist auf den ersten Blick seltsam: Das mit der Blume ist natürlich zumindest ein bisschen natürliche Schönheit – aber „zwischen die Zähne geklemmt“?
3.Dann ein paar Einblicke in die Arbeit des Pathologen – kaum jemand möchte bei einer Leichenöffnung dabei sein. Aber es gibt Leute, die das tun (müssen).
4.Dann der Einfall, die Blume einfach in die Brusthöhle zu legen – dann wieder Holzwolle und zunähen – alles ziemlich hässlich – unmenschlich.

•Dieses Gedicht präsentiert nicht nur ungeschminkt die Hässlichkeit des Todes und des fachgerechten Umgangs damit.—
•Es begnügt sich auch nicht mit einer Art Witz oder einem Gag, das der Fachmann für Leichen einem Toten eine zufällige Blumenbeigabe auch noch auf die letzte Reise mitgibt.—
•Man könnte sagen:
oStatt „Asche zu Asche“
oMal: „Blumenasche zu Menschenasche“
oDas wäre übrigens der Höhepunkt einer Ästhetik des Hässlichen gewesen.—
•Benn präsentiert einen anderen Schluss:
oDer Fachmann für Leichen macht nicht einfach seinen Job zu Ende – und sorgt mal dafür, dass eine zufällige Pflanzenbeigabe irgendwie entsorgt wird.
oNein: Aus dem Pathologen wird ein Poet
▪Er betrachtet diese Leiche als „Vase“.
▪Wendet sich an diesen Rest Schönheit, den er vor sich sieht
▪und gibt der Leiche noch einmal eine Funktion – über den Tod hinaus.

Hinweis auf die genannten Epochenmaterialien

Weitere Infos, Tipps und Materialien