„Motive“ in Kafkas Werk – Auswertung eines Studienbuches (Mat4101)

Welche Bedeutung wissenschaftliche Werke in Deutschunterricht haben:

Für den Schulunterricht ist es wichtig, bei Literatur zu unterscheiden zwischen

  • dem, worauf man selbst kommen kann,
  • und dem, was man sich von Fachleuten sagen lassen kann.

Zunächst das, was man selbst herausfinden kann:

Auf der Seite
https://textaussage.de/kafka-grundmuster

haben wir mal zusammengestellt, was wir selbst beim Lesen an „Grundmustern“ gefunden haben, das sind gewissermaßen die Antworten auf die sogenannten „Motive“, also die Themen, mit denen Kafka sich beschäftigt hat.

Die haben wir einem Studienbuch zu Kafkas Werk entnommen:

Kaul, Susanne, Einführung in das Werk Franz Kafkas, Darmstadt : WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), 2010, 1. Aufl.

Hier erst mal ein kurzer Abgleich zwischen den beiden Ansätzen.

Dann das, was man einem wissenschaftlichen Werk entnehmen kann:

Hier zunächst ein Überblick über die behandelten Motive:

Die Motive sind wohl so etwas wie Themenbereiche, während die Grundmuster eher die damit verbundenen Aussagen darstellen.

 

  1. Fremdheit und Isoliertheit
  2. Kampf
  3. Macht
  4. Vater Sohn Konflikt,
  5. Ausweglosigkeit,
  6. Schuld und Strafe,
  7. Zögern und Angst,
  8. Wunden, Schmerz und Tod,
  9. Frauen und Sexualität
  10. Recht, Gericht und Gerechtigkeit
  11. komische Charaktere
  12. Kunst
  13. Tiere
  14. Mythos
    • das Schweigen der Sirenen
    • Prometheus
    • Poseidon
    • die Wahrheit über Sancho Panzer

Im folgenden schauen wir uns mal genauer an, dass die Autorin zu den einzelnen Motiven feststellt und was man damit anfangen kann.

Anmerkungen zu den Motiven „Fremdheit und Isoliertheit“

  • Kommentar: Interessant ist hier, dass zwei Elemente zu einem Motiv zusammengefasst werden: Deshalb sollte man sich die Gemeinsamkeiten und Unterschiede kurz klarmachen:
    • Zum einen kann man sagen, dass Fremdheit eine mögliche Voraussetzung ist für Isoliertheit. 
    • Umgekehrt geht es aber auch, man isoliert sich aus irgendeinem Grunde und wird dadurch den anderen fremd.
  • Die Autorin geht hier kurz auf die drei Romane Kafkas ein, dann aber auch auf einzelne Erzählungen wie zum Beispiel „Die Verwandlung“, die ja durchaus im Deutsch-Unterricht eine Rolle spielt.
  • Das Besondere bei Kafka ist die in der Überschrift schon angedeutete Isoliertheit, die über Ausgrenzung bis hin zum Tod führen kann (wie bei Gregor Samsa).

Motiv „Kampf“

  • Die Autorin analysiert am Anfang K’s Kampf um eine ihm entsprechende Position in der Gesellschaft.
  • Sein Hauptgegner ist das Schloss mit seinen Vertretern, daneben behindern ihn aber auch die Dorfbewohner.
  • Hervorgehoben wird mithilfe eines längeren Zitats der Trick des Schlosses, die Gegenseite in kleineren Angelegenheiten gewinnen zu lassen, was K – so fürchtet er – in der Hauptsache schwächen könnte.
  • Am Ende könnte es dazu kommen, dass er vor diesem Hintergrund leicht aus dem Weg geräumt werden kann.
  • Die Autorin hält K‘s Kampf für recht abstrakt und konkretisiert  das mithilfe eines Tagebucheintrags. Dort kämpft jemand mit zwei Gegnern, die den Betreffenden von vorne und hinten bedrängen und sich damit eigentlich gegenseitig in der Wirkung ausschalten könnten.
  • Das kann man aber nicht für sich nutzen, wenn man  eigentlich gegen sich selbst kämpft.
  • Kommentar: Man hätte noch darauf hinweisen können, dass der Sohn so auf seinen Vater fixiert ist, dass er schon beschlossen hat, ihn nach der Hochzeit bei sich wohnen zu lassen, weil er ihn für tendenziell pflegebedürftig hält.
  • Kommentar: interessant dürfte ein Vergleich mit der Erzählung die Verwandlung sein. Während der Konflikt in „Das Urteil“ direkt im Gespräch und in der anschließenden Umsetzung des väterlichen Befehls ausgetragen wird, spielt er sich in „Die Verwandlung“ in verschiedenen Bereichen oder auch auf verschiedenen Ebenen ausgetragen.

Motiv „Macht“

  • Als erstes wird darauf hingewiesen, dass Macht in Kafkasromanen und Erzählungen sich nicht direkt präsentiert und auswirkt, sondern eher in „Antizipationen und Unterstellungen“ (Kaul, 43)
  • Gezeigt wird es am Beispiel des Schlosses, wo die Dorfbewohner „die Normen des Schlosses vorwegnehmen und sich gegenseitig verurteilen“ (Kaul, 43), was sich dann in Form von Fremdenfeindlichkeit auch gegenüber K auswirkt.
  • Interessant ist, welche Beziehung die Autorin zwischen dem Verhalten des Schlosses und zwei Verfilmung des Romans herstellt:
    • Zunächst das Zitat: „Die Machtmittel bestehen darin, mit in- konsequenten Botschaften zu kommunizieren oder sich der Kommunikation zu verweigern sowie Kontrolle auszuüben und gleichzeitig das Anliegen K.s zu ignorieren. Das Geheimnisvolle besiegelt die Macht des Schlosses.“
    • Dann der Hinweis, dass das sehr viel besser in dem Film von Michael Haneke (1997) dargestellt werde als in dem Film von Soderbergh (1991).
    • Im ersteren Falle wird das Schloss nämlich gar nicht gezeigt (es ist also im Film genauso geheimnisvoll wie im Roman), während im zweiten Fall in einem Laborraum Experimente mit Menschen gezeigt werden.  Damit wird das Unheimliche zwar sehr deutlich, aber eben auch konkretisiert und damit potenziell gemildert gegenüber dem, was einem sonst die Fantasie eingibt.

Vater-Sohn-Verhältnis

  1. Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn spielt nicht nur Leben Kafkas eine große Rolle (siehe „Brief an den Vater“), sondern auch in vielen seiner Erzählungen. Am extremsten ist es wohl dargestellt in der Geschichte „Das Urteil“, in der ein Vater ganz nebenbei, fast floskelhaft, seinen Sohn zum Tode verurteilt und dieser sich tatsächlich anschließend umbringt.
  2. Ausgangspunkt des zum Tode führenden Konflikts ist, dass Georg Bendemann seinem Vater erzählt, dass er einen Freund in St. Petersburg über seine bevorstehende Hochzeit informieren will.
  3. Der Vater nimmt sich ohne nähere Begründung heraus, die Existenz dieses Freundes infragezustellen. Es folgt eine Anhäufung von Vorwürfen,  der Sohn vernachlässige seine Familie und besonders ihn, den Vater.
  4. Der seltsame Zorn des Vaters beflügelt diesen regelrecht, so dass er plötzlich in dem Bett, in das er alt und schwach gelegt worden ist, sogar herum tanzen kann.
  5. Besondere Probleme hat er wohl mit der Vorstellung von Sexualität, denn er unterstellt dem Sohn, dass es ihm bei der bevorstehenden Heirat vor allem um Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse gehe.
  6. Am Ende folgt der Sohn dem des Vaters und springt von einer Brücke in den Tod.
  7. Kommentar: Man hätte noch hinzufügen können, dass der Sohn so auf den Vater fixiert ist, dass er sich schon vorgenommen hat, ihn nach der Hochzeit bei sich aufzunehmen, da er ihn für tendenziell pflegebedürftig hält.
  8. Interessant wäre ein Vergleich der Erzählung “Das Urteil” mit der Erzählung “Die Verwandlung”.
    1. Im ersten Fall wird der Konflikt direkt in einem Gespräch und der anschließenden Umsetzung des Befehls des Vaters ausgetragen.
    2. Im zweiten Falle spielt es sich über einen längeren Zeitraum in verschiedenen Bereichen und auch verschieden Ebenen ab.
    3. Im ersten Fall gibt es den ungeheuren Fall eines direkten Befehlszur Selbsttötung.
    4. Im zweiten Fall verhält der Vater sich in der Apfelwurfszene direkt körperlich gewalttätig, Aber der Tod Gregors ist konsequentes Ende eines verfehlten und sich selbst auf gebenden Lebens, wobei noch Vernachlässigung durch die Familie hinzu kommen.

Motiv Ausweglosigkeit (Seite 46)

Zusammenfassung:

  • In einem ersten Schritt werden Beispiele aus den Romanen und einzelnen Erzählungen aufgeführt, in denen die Protagonisten zu einem bestimmten Handeln gezwungen werden. Dabei hat man als Leser den Eindruck, dass es keine Alternative dazu gibt.
  • Als Beispiel könnte man die Erzählung “Das Urteil” aufführen, in der der Sohn sich nach einem entsprechenden Befehl seines Vaters von einer Brücke in den Tod stürzt.
  • Oder aber nimmt den Roman “Der Prozess”, in dem der Angeklagte tun und lassen kann, was er will, ohne dass das ihn vor der Hinrichtung rettet, zu der es am Schluss kommt.
  • In den Erzählungen “Der Landarzt” und “Der Steuermann” geraten die Protagonisten in Bedrängnis und müssen feststellen, dass ihnen niemand hilft.
  • Am extremsten in ein Bild gefasst wird die Ausweglosigkeit einer Situation in der äußerst kurzen und prägnanten Erzählung “Kleine Fabel”. Dort beklagt sich eine Maus, dass ihre Welt immer enger wird und bekommt von der Katze den Ratschlag, die Laufrichtung zu ändern, bevor sie trotzdem gefressen wird. 
  • Das Besondere ist hier, dass die inhaltliche Ausweglosigkeit noch überhöht wird durch die ironische Infragestellung der Normalform einer Fabel. Während diese am Ende Normalerweise eine Moral enthält, die einem helfen kann, das Leben zu bewältigen, steht hier am Ende der Tod.

Schuld und Strafe (Seite 46)

  1. Schuld und Strafe spielen in Roman und Erzählungen Kafkas eine große Rolle.
  2. Im Falle von Josef K im Roman „Der Prozess“ wird besonders drastisch deutlich, dass es gar nicht um eine offensichtliche Schuld geht, denn die wird niemals explizit formuliert.
  3. Josef K steht auch nicht vor einem normalen Gerichtshof, der nach juristischen Prinzipien vorgeht, sondern er ist einer fremden Macht ausgeliefert, die nach unbekannten Gesetzen vorgeht. Insgesamt hat man den Eindruck relativer Willkür.
  4. Max Brod hat versucht, bei diesem Josef K doch so etwas wie Schuld zu erkennen. Seiner Meinung nach besteht sie in der Lieblosigkeit des Mannes und in seinem Umgang mit Frauen. Erstaunlicherweise trifft hier jemand, der Kafka so gut gekannt hat wie kaum ein anderer, gerade nicht den Kern von seinem Werk, nämlich gerade den Nicht-Zusammenhang von Situation und eigener dahinter stehender Verantwortung.
  5. In der Erzählung „Das Urteil“ wird Georg Bendemann vor dem Urteilsspruch seines Vaters durchaus mit Vorwürfen konfrontiert, aber die sind offensichtlich haltlos und werden auch zum Teil ja sogar im Text selbst infragegestellt.
  6. Besonders radikal macht das Missverhältnis zwischen dem Verhalten des Verurteilten und seinem Schicksal die Erzählung „Der Schlag ans Hoftor“ deutlich, weil es dort im Text ganz eindeutig heißt, dass nicht mal sicher sei, ob die Schwester diesen verhängnisvollen Schlag geführt habe und verhaftet wird dann ihr Bruder. Außerdem haben die Reiterschar und der Richter ja von dieser Lappalie auch gar nichts mitbekommen können, denn sie kommen ja von weither geritten und der Vorfall liegt dann schon einige Zeit zurück.

Zögern und Angst (Seite 47)

  1. Diese beiden Motive spielen in Kafkas Leben eine große Rolle, wie zum Beispiel in einem Brief an Milena deutlich wird. Ausführlich wird beschrieben, durch welche Kleinigkeiten der Aufbruch zu einer Reise verzögert und vielleicht sogar verhindert werden kann. Auch hier verwendet Kafka wieder das Mittel der Aneinanderreihung, wie es besonders auch in der Erzählung „Eine kaiserliche Botschaft“ deutlich wird. Auch dort reihen sich Hindernisse bis ins Unendliche.
  2. Sehr gut sichtbar wird die Verbindung der beiden Motive Zögern und Angst in der Erzählung „Heimkehr“. Nämlich die Sehnsucht nach Rückkehr in das zumindest in der Erinnerung Vertraute zunächst mit dem Zögern und dann Übertragung der angenommenen Fremdheit der anderen in das eigene Bezugssystem. Der Text vermittelt den Eindruck, dass beide Seiten ihre Geheimnisse bewahren wollen und nicht zueinander kommen können. 
  3. Die Heimkehr scheitert also an der möglicherweise durch die Zeit gewachsenen Fremdheit und die Unsicherheit über die eigene Existenz sowie das Bedürfnis, auch selbst ein Geheimnis zu bewahren.

Motive: Wunden, Schmerz und Tod (Seite 49)

  • Der Schmerz ist nicht nur ein häufiges Thema in Kafkas Werk, sondern er steht auch bei diesem Schriftsteller grundsätzlich für die Einschätzung des Schreibens.
  • Der Schmerz hilft zum einen, weil die Außenwelt ausgeblendet wird, andererseits bringt die Konzentration auf sich selbst einen neuen Schmerz hervor, der als größer angesehen wird.
  • Susanne Kaul fasst das so zusammen: „Folglich bedeutet Schreiben: ohne Aussicht auf Rettung unter dem Trubel des Lebens zu leiden, sich in ein Schreiben zu flüchten, das wehtut, aber die Welt vergessen macht, um damit schließlich ins Zentrum des eigenen Unglücklichseins vorzustoßen.“
  • Rein biografisch sind bei Kafka persönliche Probleme häufig mit literarischen Elementen verbunden oder umgekehrt, man kann also von einem psychosomatischen Zusammenhang sprechen.
  • Besonders deutlich wie wird das in der Erzählung “Der Landarzt”, in der bei einem Jungen eine tödliche Wunde festgestellt wird, die Kafka Gegenüber Max Brod auf seine eigene Lungenkrankheit bezieht.
  • Wie bei diesem Jungen enden solche Wunden bei Kafka meistens tödlich: Deutlich wird es zum Beispiel nach dem Apfelwurf in der Erzählung “Die Verwandlung”. Bei Josef K im  Roman “Der Prozess” ist es allerdings so, dass er zwar an dem Messerstich stirbt, die eigentliche Wunde ist allerdings die Scham, dass er wie ein Hund abgeschlachtet wird, ohne dass er als Person in einem ordentlichen Verfahren ernstgenommen worden ist.

Frauen und Sexualität (Seite 50)

  1. Frauen sind in Kafkas Erzählungen vor allem Mittel zum Zweck. Als Beispiel könnte man Leni in dem Roman “Der Prozess” nehmen.
  2. Dieser Gebrauchszweck der Frauen ist häufig damit verbunden, dass es sich um Dienstmädchen handelt, die in der Regel nur einen Vornamen haben.
  3. Eine Ausnahme ist zum Beispiel Fräulein Bürstner in dem Roman “Der Prozess”, wobei allerdings der Name alleine schon eine sexuelle Anspielung enthält.
  4. Ansonsten wirft der Gefängniskaplan im Dom K direkt vor, dass er zu viel „fremde Hilfe“ suche, „besonders bei Frauen“.
  5. K verteidigt sich allerdings mit Hinweis darauf, dass bei Gericht fast alle hinter Frauen her seien, worauf man sich entsprechend einstellen müsse.
  6. Die Verbindung von Weiblichem und sexueller Triebhaftigkeit wird Teil durch Hinweis auf körperliche Besonderheiten der Frauen hervorgehoben, zum Beispiel Lenis Schwimmhäute zwischen den Fingern.
  7. Im Roman “Der Verschollene” wird besonders deutlich, wie sehr Frauen den Protagonisten bedrohen. Karl wird zum Beispiel von einem Dienstmädchen verführtt und Brunelda wird ihm gegenüber regelrecht übergriffig. Damit geht der Verlust der Männlichkeit einher und ein wirkliches erotisches Interesse gibt es nicht.
  8. Leni bildet allerdings eine gewisse Ausnahme, denn sie verkörpert für K durchaus eine animalische Kraft, der er sich nicht ganz entziehen kann. Am Ende stellt sie fest: „Jetzt gehörst du mir.“

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Recht, Gericht und Gerechtigkeit

  1. Schon der Titel eines der drei Romane Kafkas, „Der Prozess“, macht deutlich, wie sehr die Frage von Recht und Gerechtigkeit in Kafkas Werk eine Rolle spielt.
  2. In dem genannten Roman wird besonders deutlich, dass die Verfolgung durch irgendeine juristische Institution einen ganz unvermittelt treffen kann. Das Besondere dabei: Der offensichtlich Beschuldigte oder gar Angeklagte erfährt weder, was ihm vorgeworfen wird, noch hat er angemessene Möglichkeiten, sich zu verteidigen. Am Ende steht eine einsame Hinrichtung unter recht schmählichen Bedingungen.
  3. In ähnlicher Weise erwartet jemanden ein ungewisses und möglicherweise ebenfalls vernichtendes Schicksal in der Erzählung „Der Schlag ans Hoftor“. Anders ist hier, dass zwar ein möglicher Ausgangspunkt für die Beschuldigung und Verfolgung am Anfang genannt wird, es sich aber allenfalls um eine Lappalie handeln kann, die außerdem aufgrund der großen Entfernung zu den Verfolgern deren Aktivitäten gar nicht ausgelöst haben kann. Auch hier merkt man am Verhalten der Bevölkerung, dass hier ein allgemeines Verhängnis über allen waltet.
  4. In beiden Fällen hat man den Eindruck von Willkür.
  5. Allenfalls öffnet sich eine Verständnismöglichkeit, wenn man den Hinweis ernst nimmt, dass das Gericht gar nicht hinter jemandem her ist, sondern es existiert nur, wenn man hineingeht, und so lange, bis man wieder hinausgeht. Das spricht dafür, dass es sich hier um innere Prozesse handelt, Selbstvorwürfe, bei denen nicht klar ist, inwieweit sie berechtigt sind, die aber einen Menschen zerstören können.
  6. Ausgehend von Kafkas Freund Max Brod wird vielfach eine theologische Erklärung herangezogen. Wenn man aber den Verfolgungswahn in den Erzählungen „Der Nachbar“ und „Der Kaufmann“ heranzieht, verstärkt sich der Eindruck, dass diese pseudo juristischen Verfolgungen eher selbstgemacht sind als Reaktion auf das Leiden an der Welt oder eben auch an sich.
  7. Interessanterweise geht Susanne Kaul nicht ein auf die Parabel „Vor dem Gesetz“, die immerhin Bestandteil des Romans „Der Prozess“ ist. Dort wird auf andere Art und Weise deutlich, dass das Leiden an den Gesetzmäßigkeiten selbstgemacht sein könnte. Denn der Türhüter macht ja deutlich, dass dieses Tor nur für den einfachen Mann vom Lande offen war und er hat nicht gewagt, sich gegebenfalls auch den Eingang zu erzwingen.
  8.  Dass dieses Tor nur für diesen einen Menschen offen stand, könnte bedeuten, dass jeder Mensch vielleicht doch die Chance hat, ein eigenes Gesetz zu machen. Es hängt wohl mit Kafkas Biografie zusammen, dass er diesen Gedanken nicht weiter in seinen Erzählungen und Romanen ausgemalt hat.
  9. Aber das wäre eine wunderbare Verbindung mit der Formulierung Goethes von dem Gesetz, nach dem man angetreten ist und von der Pyramide des Daseins, wie man selbst bauen muss, aber auch darf. Zu diesen Überlegungen noch zwei Verweise für eigene weiterführende Recherchen.
    1. „Bist alsobald und fort und fort gediehen
      Nach dem Gesetz, wonach du angetreten.“
      https://de.wikipedia.org/wiki/Urworte._Orphisch
    2. Goethes „Pyamide meines Daseins“
      https://www.noz.de/deutschland-welt/kultur/artikel/safranskis-goethe-biografie-arbeit-an-der-pyramide-des-daseins-23862601
  10. Kommentar zu den Ergebnissen, die im Studienbuch präsentiert werden:
      • Insgesamt fällt auf, dass doch die theologische Dimension mit Verweis auf Max Brot stark in den Vordergrund geschoben wird, vor allem was das Schloss angeht. Da erscheint uns eine Interpretation von der Stellung des Menschen in der Welt besser.
      • Auch könnte man „Das Schloss“ und auch „Der Prozess“sowie die anderen erwähnten Textbelege viel eher mit Goethes „Das Göttliche“ in eine Beziehung bringen. Dort ist nämlich die Rede davon, dass das Schicksal über den Göttern und den Menschen herrscht.
      • Auch die Hinrichtung in der Erzählung „In der Strafkolonie“ kann so verstanden werden. jemand, der zum Beispiel unter einer entsprechenden Krankheit leidet, regelrecht sieht, wie sein Urteilsspruch in seinen Körper eingegraben wird, auch wenn diese Vorstellung nur in seinem Kopf existiert.
      • Besonders auch „Der Nachbar“ und „Der Kaufmann“ sowie der Satz: Das Gericht existierte, solange man hingegangen ist und nicht wieder weg geht, geht in diese Richtung, dass es sich um Kopfgeburten handelt.
      • Der Hinweis auf den angeblichen Gnadencharakter des Schlosses sollte noch mal überprüft werden, er erscheint sehr gewollt.
      • Uns erscheint eine Interpretation sinnvoller, dass es bei den literarischen Texten zu dieser Motivgruppe eher um den Sinn des Lebens geht, beim „Schloss“ um das Geheimnis hinter allen Dingen, die Existenz überhaupt. Und „Vor dem Gesetz“ zeigt an, dass du dir selbst den Zugang erzwingen musst. Man könnte die Parabel auch schön weiterspinnen, dass nach dem Durchgang durch das erste Tor der Wächter zurücktritt, vielleicht noch sagt: „Du hast es begriffen.“ Und dann öffnen sich viele Wege, je nachdem, in welche Richtung man geht.

Motiv „Komische Charaktere“

  • Man glaubt es zunächst einmal nicht, wenn das Komische auch dem Werk Kafkas zugeordnet wird. Man verbindet seine Texte ja eher mit dem Einbruch des Ungeheuren, Außergewöhnlichen –  bis hin zum Untergang.
  • Susanne Kaul präsentiert die folgenden Textstellen, an denen man die These vom Komischen prüfen kann:
    • Da ist zum einen der Anfang des Romans “Der Prozess”, wo das Außergewöhnliche, Unvorstellbare und sogar Gefährliche den Protagonisten morgens im Nachthemd überrascht. Er versucht, sich mit seiner Radfahrlegitimation auszuweisen. Auch das anschließende Gespräch vor dem Nachttischchen an Fräulein Bürstners Bett mit Kerze, Zündhölzchen und Nadelkissen ist tatsächlich seltsam.
    • Hilfreich ist der Hinweis auf die Definition des Komischen von Henri Bergson. Nach ihm entstehe Komik dadurch, dass das Lebendige, Natürliche durch etwas Mechanisches, Automatenartiges ersetzt wird.
  • Interessant ist auch der Hinweis auf die Bankkollegen im Roman, die ebenfalls sehr mechanisch wirken (zum Beispiel das Lächeln von Kaminer) und sich damit komisch präsentieren.
  • Am überzeugenden steht für Komik im Kafkas Werk wohl die Szene im “Prozess”, in der so lange Advokaten von einem Beamten des Gerichtes die Treppe hinuntergeworfen werden, bis er ermüdet aufhört.
  • Das ist tatsächlich eine Szene, die auch in einem Charlie-Chaplin-Film vorkommen könnte.
  • Insgesamt scheint uns diese Komik aber eher ein Lachen auszulösen, das einem im Rachen stecken bleibt. Es passt wahrscheinlich zu Kafka und seiner Verzweiflung am Leben, dass er beim Vorlesen des ersten Kapitels des “Prozess”-Romans sich nach Aussage von Max Brod vor Lachen kaum halten konnte.

Motiv „Kunst“

Zusammenfassung:

  1. Wenn man zeigen will, welche Rolle die Kunst in Kafkas Werk spielt kann man auf zwei Erzählungen zurückgreifen
  2. Zum einen „Der Hungerkünstler“
    1. Dort geht es um jemanden, der von seinem Agenten zur Schau gestellt wird, weil er besonders lange Hunger hat.
    2. Das Problem ist, dass die Erwartungen des Publikums aber nicht optimal erfüllt werden, weil der Künstler zum einen offensichtlich zu wenig leidet und zweitens am liebsten diese Hunger kur endlos fortsetzen würde
    3. Kurz vor seinem Tod verrät er sogar sein Geheimnis: Das  Hungern war für ihn überhaupt keine sich auf erlegte Qual, sondern er hatte keine Speise, die ihm zusagte.
    4. Diese Erzählung zeigt also das Spannungsverhältnis zwischen dem Künstler und den Erwartungen des Publikums.
    5. Abschließend weist Susanne Kaul darauf hin, dass auch Kafka selbst  in gewisser Weise bei seinem Schreiben eine Art Hungerkunst betrieb, Weil er sich so sehr darauf konzentrierte, Das alles andere – einschließlich der Nahrungsaufnahme – dabei zurücktreten musste.
  3. Die zweite Erzählung, die in diesem Zusammenhang interessant ist, ist „Josefine, die Sängerin“ die als Maus mit ihrem Gesang durch aus ihr Volk begeistert, aber für ihre Kunst nicht die ausreichende Unterstützung (besonders finanziell) bekommt.
  4. Damit ist zugleich ein ganz allgemeines Problem angesprochen, das fast alle Künstler betrifft.
    1. Auf der einen Seite ist da ein Publikum, das gerne genießt, was geboten wird, aber möglichst wenig dafür bezahlen will.
    2. Dem gegenüber steht der Künstler, Der sich um höchste Kunstfertigkeit bemüht und nicht gleichzeitig immer genügend Geld verdienen kann für den Lebensunterhalt.
    3. Daraus ergibt sich häufig ein ständiger Kampf, der die Kunst und natürlich auch den Künstler belastet.

Wir setzen das hier noch fort.

Weiterführende Hinweise 

https://textaussage.de/facharbeit-aufbau-darstellungsweise-vorbild-bachelorarbeit-werther