Kafka über seine Grundmuster „verstehen“ – was man immer wieder bei ihm findet

Kafka als Herausforderung

Kafka erscheint vielen Schülern als ein besonders schwieriger Fall, was das Verstehen seiner Erzählungen angeht.

Je mehr man kennt, desto größer das Verstehen

Wir haben die Erfahrung gemacht, die wohl dem sogenannten „qualitativen Sprung“ entspricht. Der besagt, dass eine Anhäufung von Quantität irgendwann eine neue Qualität schafft. Gemeint ist damit, dass man irgendwann begreift, dass es wiederkehrende Vorstellungen gibt.

Unser allgemeines Kafka-Verständnis

Wir sind an anderer Stelle auf Kafkas Erzählungen als „einarmige“ Parabeln eingegangen. Das sind Erzählungen, die auf einen besonderen Punkt hinauslaufen – in diesem Fall auf die Situation des Menschen in der Welt. Die wird auf unterschiedliche Art und Weise in einer Art erzählter Bildhandlung verdeutlicht.

Näheres dazu in dem Video:

Videolink

Vorläufige Übersicht über die gefundenen Grundmuster

Suche nach Grundmustern in Kafkas Erzählung

Im Folgenden versuchen wir, einen Schritt weiterzugehen, und Grundmuster zu beschreiben, die bei Kafka immer wieder deutlich werden. Es geht gewissermaßen um seine besondere Weltanschauung, die verschiedene Facetten enthält.

Was die Lücken angeht, wir arbeiten dran 😉

  1. „Eine kaiserliche Botschaft
    • Unsere Interpretation:
      Wichtige Parabeln von Kafka, u.a. „Kleine Fabel“ und „Heimkehr“
    • Dort ist das Phänomen der unüberbrückbaren Distanz
    • beziehungsweise der vielfältigen Hindernisse besonders gut zu sehen.
    • Interessant das rhetorische Mittel der Steigerung
    • Querbezug zu “Heimkehr”
    • Querbezug zu “Vor dem Gesetz”
    • Zitat(e):
      „Der Bote hat sich gleich auf den Weg gemacht; ein kräftiger, ein unermüdlicher Mann; einmal diesen, einmal den andern Arm vorstreckend schafft er sich Bahn durch die Menge; findet er Widerstand, zeigt er auf die Brust, wo das Zeichen der Sonne ist; er kommt auch leicht vorwärts, wie kein anderer. Aber die Menge ist so groß; ihre Wohnstätten nehmen kein Ende. Öffnete sich freies Feld, wie würde er fliegen und bald wohl hörtest du das herrliche Schlagen seiner Fäuste an deiner Tür. Aber statt dessen, wie nutzlos müht er sich ab; immer noch zwängt er sich durch die Gemächer des innersten Palastes; niemals wird er sie überwinden; und gelänge ihm dies, nichts wäre gewonnen; die Treppen hinab müsste er sich kämpfen; und gelänge ihm dies, nichts wäre gewonnen; die Höfe wären zu durchmessen; und nach den Höfen der zweite umschließende Palast; und wieder Treppen und Höfe; und wieder ein Palast; und so weiter durch Jahrtausende; und stürzte er endlich aus dem äußersten Tor – aber niemals, niemals kann es geschehen -, liegt erst die Residenzstadt vor ihm“
  2. „Der plötzliche Spaziergang“
    Das ist wohl die kleine Erzählung Kafkas, die am stärksten positiv ausgerichtet ist.
    https://textaussage.de/muendliche-abiturpruefung-kafka-spaziergang-einordnung-grundmuster-gesamtwerk
  3. „Das Schweigen der Sirenen“
    (nachträglich aufgenommen und zugeordnet)
    https://textaussage.de/kafka-das-schweigen-der-sirenen
    In dieser Geschichte geht am Ende alles gut aus – sowohl für die Sirenen als auch für Odysseus.
    Allerdings geht es dem griechischen Mythos ziemlich an den Kragen – er wird letztlich ins Vage, Vieldeutige hineingedichtet.
  4. Franz Kafka, Poseidon
    (nachträglich aufgenommen und zugeordnet)
    Auch in dieser Erzählung wird eine griechische Sage neu gedeutet. Poseidon bleibt zwar der Gott der Meere, ist aber nur mit eintöniger Rechenarbeit beschäftigt. Aus der gibt es anscheinend kein Entkommen. Aber im Unterschied zu anderen Erzählungen besteht die Ausweglosigkeit hier anscheinend aus einem Treten auf der Stelle. Letztlich handelt es sich wohl um die Präsentation eines verfehlten Lebens, das man wieder als Bild für die Existenz des Menschen in der Welt verstehen kann.
    https://textaussage.de/kafka-poseidon
  5. Der Schlag ans Hoftor“

  6. Gib‘s auf
      • Unsere Interpretation:
        https://textaussage.de/kafka-gibs-auf
      • der plötzliche Verlust der Sicherheit, der Orientierung und der Unmöglichkeit der Hilfe
      • beziehungsweise der Verkehrung des Schutzmannes (Polizisten) in sein Gegenteil
      • Querbezug zu “Kleine Fabel”
      • Zitat(e):
        “… glücklicherweise war ein Schutzmann in der Nähe, ich lief zu ihm und fragte ihn atemlos nach dem Weg. Er lächelte und sagte: »Von mir willst du den Weg erfahren?« »Ja«, sagte ich, »da ich ihn selbst nicht finden kann.« »Gibs auf, gibs auf«, sagte er und wandte sich mit einem großen Schwunge ab, so wie Leute, die mit ihrem Lachen allein sein wollen.”
  7. „Der Aufbruch“
        • Der Ich-Erzähler sattelt sein Pferd und bricht auf, weil er nur so meint, sein (nicht klar benanntes) Ziel erreicht zu können.
        • Die Frage nach den Nahrungsmitteln wird mit der seltsamen Begründung zurückgewiesen, dass man unterwegs Nahrung bekommen müsse, sonst sei der Weg sowieso zu weit.
        • Ergänzung: Franz Kafka , „Die Wahrheit über Sancho Pansa“ – zumindest in der Fiktion kann man sich sogar vom Teufel befreien
          https://textaussage.de/kafka-sancho-pansa
  8. Kleine Fabel“
          • Unsere Interpretation:
            Wichtige Parabeln von Kafka, u.a. „Kleine Fabel“ und „Heimkehr“
          • In kürzest möglicher Form die Erfahrung der Verengung der Welt beziehungsweise der Lebensmöglichkeiten
          • mit dem perversen Ausweg des Vernichtetwerdens
          • Querbezug zu „Gib‘s auf“
          • “»Ach«, sagte die Maus, »die Welt wird enger mit jedem Tag.”
          • “Du mußt nur die Laufrichtung ändern«, sagte die Katze und fraß sie.”
  1. Der Nachbar
  2. Der Kaufmann“:
    • https://www.einfach-gezeigt.de/klausur-kafka-kaufmann-vergleich-gregor-verwandlung
    • Das Gefühl der Überforderung bis hin zum Verfolgungswahn
    • Bei gleichzeitigem Leben in einer eigenen Unwahrheit, man macht sich etwas vor.
    • Zitate:
      • „Es ist möglich, daß einige Leute Mitleid mit mir haben, aber ich spüre nichts davon. Mein kleines Geschäft erfüllt mich mit Sorgen, die mich innen an Stirne und Schläfen schmerzen, aber ohne mir Zufriedenheit in Aussicht zu stellen, denn mein Geschäft ist klein.“
      • „Wenn nun am Abend eines Werktages das Geschäft gesperrt wird und ich plötzlich Stunden vor mir sehe, in denen ich für die ununterbrochenen Bedürfnisse meines Geschäftes nichts werde arbeiten können, dann wirft sich meine am Morgen weit vorausgeschickte Aufregung in mich, wie eine zurückkehrende Flut, hält es aber in mir nicht aus und ohne Ziel reißt sie mich mit.“
      • „Ich gehe dann wie auf Wellen, klappere mit den Fingern beider Hände, und mir entgegenkommenden Kindern fahre ich über das Haar.“
      • „Als der Lift sich zu heben anfängt, sage ich: »Seid still, tretet zurück, wollt ihr in den Schatten der Bäume, hinter die Draperien der Fenster, in das Laubengewölbe?«“
      • „Ich rede mit den Zähnen und die Treppengeländer gleiten an den Milchglasscheiben hinunter wie stürzendes Wasser.“
  3. „Der Steuermann“
    • Infragestellung und dann Verlust der eigenen Position durch einen plötzlich auftauchenden Konkurrenten
    • Keine Unterstützung durch die Untergebenen, die Mannschaft: vergleichbar mit dem Schutzmann in der Erzählung „Gib’s auf“
  4. „Heimkehr
    • https://textaussage.de/kafka-heimkehr-zwischen-literatur-und-autobiografie
    • Die Fremdheit des Menschen
    • Aber auch die innere Vorwegnahme möglicher negativer Beziehungserfahrungen
    • Zitate:
      • „Ich bin angekommen. Wer wird mich empfangen? Wer wartet hinter der Tür der Küche? Rauch kommt aus dem Schornstein, der Kaffee zum Abendessen wird gekocht. Ist dir heimlich, fühlst du dich zu Hause? Ich weiß es nicht, ich bin sehr unsicher. Meines Vaters Haus ist es, aber kalt steht Stück neben Stück, als wäre jedes mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt, die ich teils vergessen habe, teils niemals kannte. Was kann ich ihnen nützen, was bin ich ihnen und sei ich auch des Vaters, des alten Landwirts Sohn.“
      • „Je länger man vor der Tür zögert, desto fremder wird man. Wie wäre es, wenn jetzt jemand die Tür öffnete und mich etwas fragte. Wäre ich dann nicht selbst wie einer, der sein Geheimnis wahren will.“
  5. Vor dem Gesetz
        • https://www.einfach-gezeigt.de/kafka-vor-dem-gesetz
        • Die Sehnsucht nach Sinn unter einem größeren Ordnungszusammenhang
        • Das Stoßen auf reale oder auch nur behauptete Widerstände
        • Die größtmögliche Zuspitzung auf das Nicht-zu-Einander-Kommens dessen, was zusammen gehört
        • Zitate
          • „Vor dem Gesetz steht ein Türhüter. Zu diesem Türhüter kommt ein Mann vom Lande und bittet um Eintritt in das Gesetz. Aber der Türhüter sagt, daß er ihm jetzt den Eintritt nicht gewähren könne. Der Mann überlegt und fragt dann, ob er also später werde eintreten dürfen. »Es ist möglich«, sagt der Türhüter, »jetzt aber nicht.« Da das Tor zum Gesetz offensteht wie immer und der Türhüter beiseite tritt, bückt sich der Mann, um durch das Tor in das Innere zu sehn. Als der Türhüter das merkt, lacht er und sagt: »Wenn es dich so lockt, versuche es doch, trotz meines Verbotes hineinzugehn. Merke aber: Ich bin mächtig. Und ich bin nur der unterste Türhüter. Von Saal zu Saal stehn aber Türhüter, einer mächtiger als der andere. Schon den Anblick des dritten kann nicht einmal ich mehr ertragen.«“
          • „Vor seinem Tode sammeln sich in seinem Kopfe alle Erfahrungen der ganzen Zeit zu einer Frage, die er bisher an den Türhüter noch nicht gestellt hat. Er winkt ihm zu, da er seinen erstartenden Körper nicht mehr aufrichten kann Der Türhüter muß sich tief zu ihm hinunterneigen, denn der Größenunterschied hat sich sehr zuungunsten des Mannes verändert. »Was willst du denn jetzt noch wissen?« fragt der Türhüter, »du bist unersättlich.« »Alle streben doch nach dem Gesetz«, sagt der Mann, »wieso kommt es, daß in den vielen Jahren niemand außer mir Einlass verlangt hat?« Der Türhüter erkennt, daß der Mann schon an seinem Ende ist, und, um sein vergehendes Gehör noch zu erreichen, brüllt er ihn an: »Hier konnte niemand sonst Einlass erhalten, denn dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schließe ihn.«“
  6. Auf der Galerie
    • https://www.schnell-durchblicken2.de/kafka-auf-der-galerie-mp3
    • Die scheinbare Ordnung/Schönheit der Welt
    • Im Gegensatz dazu die Ahnung ihrer Brüchigkeit oder auch Schlechtigkeit
    • Querbezug zu “Eine kaiserliche Botschaft” und “Vor dem Gesetz”: Es gibt offensichtlich eine bessere Welt, aber sie ist unerreichbar.
    • Zitate:
      • „Wenn irgendeine hinfällige, lungensüchtige Kunstreiterin in der Manege auf schwankendem Pferd vor einem unermüdlichen Publikum vom peitschenschwingenden erbarmungslosen Chef monatelang ohne Unterbrechung im Kreise rundum getrieben würde, „
      • „vielleicht eilte dann ein junger Galeriebesucher die lange Treppe durch alle Ränge hinab, stürzte in die Manege, rief das: Halt! durch die Fanfaren des immer sich anpassenden Orchesters.“
      • „Da es aber nicht so ist; eine schöne Dame, weiß und rot, hereinfliegt, zwischen den Vorhängen, welche die stolzen Livrierten vor ihr öffnen; der Direktor, hingebungsvoll ihre Augen suchend, in Tierhaltung ihr entgegenatmet; vorsorglich sie auf den Apfelschimmel hebt, als wäre sie seine über alles geliebte Enkelin, die sich auf gefährliche Fahrt begibt;“
      • „da dies so ist, legt der Galeriebesucher das Gesicht auf die Brüstung und, im Schlussmarsch wie in einem schweren Traum versinkend, weint er, ohne es zu wissen.“
  7. Franz Kafka, „Der Kreisel“
    • Am schwierigsten für uns bisher, aber doch „induktiv“ erschließbar und dann auch noch vergleichbar mit „Auf der Galerie“:
    • Unsere Interpretation:
      Kafka, „Der Kreisel“

Weiterführende Hinweise