Paul Fleming, „Wie er wolle geküsset sein“ – ein Barockgedicht und eine KI-Nachdichtung (Mat5780)

Worum es hier geht:

Die Barocklyrik wird meistens verbunden mit der Erfahrung des Leidens und der Hoffnung auf ein besseres Leben im Jenseits.

Aber es gibt auch Gedichte, die sich weniger ernsten, dafür umso wichtigeren (zumindest in unserem heutigen Alltag) Fragen zuwenden.

Bei diesem Gedicht geht es um das Küssen – und wie man das am besten handhaben soll:

Zu finden ist das Gedicht z.B. hier.

Anmerkungen zu Überschrift und Strophe 1

Wir präsentieren hier die Originalteile des Gedichtes in kursiver Schrift. Darunter dann unser Kommentar in Normalschrift.

Wie er wolle geküsset sein

  • Die Überschrift macht deutlich, wie das lyrische Ich sich ein richtiges Küssen vorstellt.
  • Man ist gespannt, wie man das in der Barockzeit gesehen hat. Denn das war ja eher eine Zeit, die auf formalen Umgang miteinander gesetzt hat (höfische Kultur) und im übrigen in vielen Gedichten einen christlichen Ton anschlägt.

Nirgends hin / als auf den Mund /
da sinkts in des Herzens Grund.
Nicht zu frei / nicht zu gezwungen /
nicht mit gar zu fauler Zungen.

  • Die erste Strophe gibt dann einen Hinweis, der aus heutiger Zeit eher überflüssig ist. Denn das ist wohl der erste Gedanke, wenn vom Küssen die Rede ist.
  • Interessant dann allerdings die Begründung, nämlich der Hinweis darauf, dass ein solches Küssen gewissermaßen den Zugang zum Herzen ermöglicht.
  • Es folgt ein etwas unklarer, wenig ergiebiger Hinweis. Der Kuss soll nämlich nicht zu frei und nicht zu gezwungen sein. Das kann man natürlich nachvollziehen, auch wenn das eine sehr allgemeine Regel ist.
  • Dann allerdings wird das lyrische Ich doch noch etwas deutlicher und regt einen möglichst intensiven Zungenkuss an.
  • Man fragt sich, warum hier das Pendel doch eher in Richtung „frei“ schlägt, was vorher noch offen gelassen worden ist.
Anmerkungen Strophe 2

Nicht zu wenig / nicht zu viel!
Beides wird sonst Kinderspiel.
Nicht zu laut / und nicht zu leise /
Beider Maß‘ ist rechte Weise.

  • Die zweite Strophe nimmt dann den Gedanken des Mittelmaßes noch mal wieder auf, begründet das aber etwas seltsam mit dem Hinweis auf ein Kinderspiel
  • Am Ende dann noch einmal das Mittelmaß, diesmal im Hinblick auf die Lautstärke.
  • Das wird ergänzt durch den Hinweis auf die entsprechende Verständigung zwischen den Liebenden – was nach Rücksichtnahme klingt.
Anmerkungen Strophe 3

Nicht zu nahe / nicht zu weit.
Dies macht Kummer / jenes Leid.
Nicht zu trocken / nicht zu feuchte /
wie Adonis Venus reichte.

  • Im selben Stil geht es weiter, nur dass es diesmal um den Abstand geht, der beim Küssen eingehalten werden sollte
  • Interessant ist dabei, dass zu große Nähe mit Kummer verbunden wird und zu große mit Leid.
  • Spätestens hier wird deutlich, dass dieses lyrische Ich nur scheinbar für Mittelmaß plädiert.
  • Denn die Gefahr bei beiden Formen des Extremverhaltens geht eigentlich in die gleiche Richtung.
  • Am Ende dann ein weiterer Hinweis, diesmal in Richtung Feuchtigkeit. Auch hier nichts Genaueres, dafür der Hinweis auf ein Paar auf der antiken Sagen Welt.
Exkurs: Klärungsfrage an ChatGPT

Da wir uns bei den beiden genannten Personen nicht so auskannten, war das mal wieder eine gute Gelegenheit, eins der modernen KI-Chat-Programme zu fragen.

Unsere Frage an ChatGPT:

„In einem Barockgedicht wird im Hinblick auf das Küssen auf das antike Beispiel von Adonis und Venus hingewiesen. Gibt es da irgendwelche genaueren Erklärungen in der Mythologie, was das Küssen zwischen diesen beiden Personen angeht?“

Und die Antwort von ChatGPT, die wir hier mal in ihre Teile zerlegen und kommentieren. Auch hier wieder das „Fremdmaterial“ in kurzsiver Schrift.

  1. In der antiken Mythologie gibt es tatsächlich eine interessante Geschichte über Adonis und Venus, die das Küssen betrifft.
    • Hier hätte man gerne genauer gewusst, woher die Geschichte stammt.
  2. Adonis war ein sehr schöner Jüngling, den Venus (die römische Göttin der Liebe) aufzog und liebte.
  3. Eines Tages wurde er von einem wilden Eber tödlich verwundet.
  4. Als er auf dem Sterbebett lag, küsste Venus ihn leidenschaftlich und aus ihren Tränen entstand eine Blume, die wir heute als „Adonisröschen“ kennen.
    • Hier bleibt die Frage, was aus Adonis geworden ist.
    • Also fragen wir das Programm:
      Was ist aus Adonis geworden, nachdem Venus ihn auf dem Sterbebett zumindest noch küssen konnte?
    • Und die Antwort:
      Venus eilte zu ihm und konnte ihn auf dem Sterbebett zumindest noch küssen, bevor er starb.“
  5. Diese Geschichte von Venus, die Adonis auf dem Sterbebett küsst, symbolisiert oft die Liebe und das Verlangen, das selbst den Tod überdauern kann. Im Barockgedicht könnte diese mythologische Episode als Metapher für die Leidenschaft und die Kraft des Küssens verwendet worden sein.
Anmerkungen Strophe 4

Nicht zu harte / nicht zu weich.
Bald zugleich / bald nicht zugleich.
Nicht zu langsam / nicht zu schnelle.
Nicht ohn Unterscheid der Stelle.

  • Auf die gleiche Art und Weise geht es in dieser Strophe weiter. Es wird langsam langweilig, weil letztlich nichts auftaucht, was jetzt wirklich interessant ist.
  • Man hat den Eindruck, dass dieses Gedicht auch von der künstlichen Intelligenz eines Chat-Programms hätte geschrieben werden können. Aber vielleicht kommt ja noch was.
Anmerkungen Strophe 5

Halb gebissen / halb gehaucht.
Halb die Lippen eingetaucht.
Nicht ohn Unterscheid der Zeiten.
Mehr alleine denn bei Leuten.

  • Hier wird es jetzt insgesamt etwas präziser. Vor allem, wenn darauf hingewiesen wird, dass man sich auf keine Zeitvorgaben einlassen sollte
    Übrigens wieder ein Signal in Richtung Freiheit und Intensität.
  • Und dass man beim Küssen eher für sich sein sollte, dem werden die meisten auch zustimmen.
Anmerkungen Strophe 6

Küsse nun ein Jedermann /
wie er weiß / will / soll und kann.

Ich nur und die Liebste wissen /
wie wir uns recht sollen küssen.

  • In der letzten Strophe  kommt das lyrische Ich zu einem Abschluss.
  • Letztlich wird hier deutlich, dass es nicht vorhatte, wirkliche Ratschläge zu geben.
  • Dafür gibt es den Hinweis, dass jeder das machen kann, was er für richtig hält. Auch was das Ausmaß angeht.
  • Dann zumindest ein kleiner Clou am Schluss, der das auf die eigene Situation anspielt.
  • Das lyrische Ich macht nämlich deutlich, dass es selbst und seine Liebste genau wissen, wie sie es beim Küssen gern haben.
  • Letztlich ist dieses Gedicht eine Art Gag, indem vorher alle möglichen Sachen durchgecheckt werden, um am Ende es den Liebenden zu überlassen, wie sie es für sich angenehm gestalten.
Kreative Anfrage an ChatGPT

Das Gedicht von Paul Fleming, wie er wolle geküsste sein, enthält nur sehr allgemeine, unspezifische Ratschläge mit dem überraschenden Schluss, dass die Liebenden es selbst am besten wissen, wie sie sich küssen sollen

Könntest du vielleicht ein Gedicht aus heutiger Sicht schreiben, dass auf ähnliche Art und Weise Ratschläge gibt, um am Ende alles offen zu lassen?

Das Parallelgedicht von ChatGPT

Natürlich, hier ist ein modernes Gedicht, das auf ähnliche Weise Ratschläge zum Küssen gibt und am Ende die Freiheit der Liebenden betont:

In Küssen liegt ein süßes Geheimnis,
Ein Tanz der Lippen, zärtlich und leis.
Doch lasst euch nicht von Regeln binden,
Denn eure Liebe wird den Weg schon finden.

  • Ziemlich guter Anfang, zunächst das Positive,
  • Dann die Empfehlung, sich dabei nicht unnötig einzuschränken
  • znd volles Vertrauen auf die Erfindungskraft der Liebe

Lasst eure Herzen die Melodie schlagen,
Eure Lippen sollen sich frei bewegen.
Ein Kuss ist Kunst, doch ohne Plan,
Lasst euch treiben, so gut ihr kann.

  • Auch hier ein brauchbarer Gedanke, nur das „schlagen“ am Ende stört.
    „finden“ wäre sicher schöner.
  • Dann wieder der Kerngedanke der Freiheit, einer Kunst ohne Planung.
  • Am Ende dann der schöne Gedanke des Sich-treiben-Lassens – allerdings stimmt dann die Grammatik nicht.
    Einfache Lösung: „so gut ihr könnt“.

Keine Anleitung kann euch lehren,
Wie eure Seelen sich verehren.
Die Liebe spricht in jedem Blick,
In eurem Kuss, im Augenblick.

  • Auch hier wieder gute Gedanken,
  • Sogar der Reim stimmt hier.

So küsst, wie euer Herz es begehrt,
In dieser Liebe seid ihr ungestört.
Denn am Ende, das ist klar und rein,
Werdet ihr wissen, wie ihr wollt geküsst sein.

  • Es geht auch gut weiter.
  • Am Ende dann eine Zusammenfassung, die dem Barockgedicht und seinem Schluss entspricht.

Insgesamt ist dieses KI-Gedicht deutlich aussagekräftiger als das Barockgedicht, verliert dabei aber natürlich das besondere literarische Mittel der ständigen Wiederholung des gleichen Gedankens mit dem überraschenden Schluss.

Vergleichsmöglichkeit

Das Gedicht von Fleming kann man gut vergleichen mit:
https://schnell-durchblicken.de/opitz-auf-einen-kuss

Weitere Infos, Tipps und Materialien