Schnell durchblicken bei: Eichendorff, „Erwartung“ (Mat5267)

Worum es hier geht:

Eichendorffs Gedicht „Erwartung“ ist insofern sehr interessant, weil es in der bei diesem Dichter üblichen relativ einfachen Sprache daherkommt, deshalb aber doch inhaltlich recht anspruchsvoll ist.

Zu finden ist das Gedicht z.B. hier.

Schauen wir uns mal die Entwicklung der Äußerungen des lyrischen Ichs an.

Inhaltserläuterung

Wir gehen induktiv vor, also Zeile für Zeile und achten dabei besonders auf die Leserlenkung. Wie entwickelt sich der „Horizont“ des Gedichtes und was macht das mit dem „Horizont“ des Lesers?

Horizont steht hier im hermeneutischen Sinne für die Vorstellung vom Verständnis des Textes.

Was die Zitate angeht, so reicht es uns für den schulischen Bereich, wenn die Wörter und Wendungen des Gedichtes inhaltlich unverändert präsentiert werden. Die grammatische Form bleibt dabei in einzelnen Fällen unberücksichtigt.

Erläuterung des Titels und seines inhaltlichen Spielraums

Erwartung

  • Die Überschrift ist sehr allgemein gehalten.
  • Sicher ist,  dass es um die Frage geht, wie die Zukunft aussehen wird.
  • In der Regel ist der Begriff mit positiven Konnotationen verbunden.

Erläuterung von Strophe 1

  1. O schöne, bunte Vögel,
  2. Wie singt ihr gar so hell!
  3. O Wolken, luft’ge Segel,
  4. Wohin so schnell, so schnell?
  • In der ersten Strophe wendet sich das lyrische Ich an Vögel, die als „schön“ und „bunt“ angesehen werden und deren Gesang ihm „hell“ vorkommt.
  • Die zweite Hälfte der Strophe wendet sich dann den Wolken zu, die als „Segel“ der Luft verstanden werden. Daraus entsteht die Frage, wohin der Flug dieser Wolken geht und warum sie sich so schnell bewegen.

 

Erläuterung von Strophe 2

  1. Ihr alle, ach, gemeinsam
  2. Fliegt zu der Liebsten hin,
  3. Sagt ihr, wie ich hier einsam
  4. Und voller Sorgen bin.
  • Die zweite Strophe macht deutlich, dass Vögel und Wolken eine Gemeinsamkeit haben: Sie können nämlich zur „Liebsten“ des lyrischen Ichs fliegen.
  • Dem lyrischen Ich bleibt nur die Bitte, dass Vögel und Wolken, seiner Liebsten die Botschaft überbringen, dass es hier einsam und voller Sorgen ist.
  • Während die Einsamkeit sich aus der Situation ergibt, bleibt unklar, um was für Sorgen es sich beim lyrischen Ich handelt.

Erläuterung von Strophe 3

  1. Im Walde steh und laur ich,
  2. Verhallt ist jeder Laut,
  3. Die Wipfel nur wehn schaurig,
  4. O komm, du süße Braut!
  • Hier geht das lyrische Ich etwas genauer auf seine Situation ein. Es steht im Wald und „lauert“. Das Wort passt zur Überschrift, ist aber eher mit negativen Konnotationen verbunden.
  • Interessant ist die zweite Zeile, weil sie darauf hinweist, dass jeder Laut „verhallt“ ist, also verschwindet.
  • Das klingt zunächst mal negativ, es könnte aber auch bedeuten, dass die Vögel unterwegs zur Liebsten sind.
  • Da das aber nur in der Wunschwelt des lyrischen Ichs geschehen kann und nicht in der Realität, überwiegt der Eindruck, dass die Stimmung des Gedichtes sich weiter ins Negative wendet.
  • Interessant ist, dass der Wald hier in der Schauerlich-Variante auftaucht. Man sieht daran die Spannweite dieses Motivs bei Eichendorff. Im Normalfall ist er ja eine Art „Zelt“, das den Menschen umgibt und das auch wichtige moralische Hinweise für das Leben gibt.
    https://textaussage.de/test-induktiv-deduktiv-kombiniert-eichendorff-abschied
  • Am Ende dann die Bitte an die „süße Braut“, sie möge kommen.

Erläuterung von Strophe 4

  1. Schon sinkt die dunkelfeuchte
  2. Nacht rings auf Wald und Feld,
  3. Des Mondes hohe Leuchte
  4. Tritt in die stille Welt.
  • Diese Strophe geht dann auf die Veränderung im Tagesverlauf ein.
  • Die Nacht, die normalerweise in der Vorstellungswelt der Romantiker eher positiv besetzt ist, ist hier allerdings „dunkel“ und „feucht“ und verstärkt, damit eher die negative, Tendenz.
  • In der zweiten Hälfte der Strophen gibt es dann eine Wendung ins Positive? Denn der Mond bringt zumindest Licht in diese nächtliche Welt.

Erläuterung von Strophe 5

  1. Wie schauert nun im Grunde
  2. Der tiefsten Seele mich!
  3. Wie öde ist die Runde
  4. Und einsam ohne dich!
  • Die fünfte Strophe präsentiert dann ein aktuelles Fazit der äußeren und inneren Entwicklung.
  • Es ist von einem Schauder die Rede, der bis in die Tiefe der Seele reicht. Viel schlimmer geht es schon nicht mehr.
  • Die letzten beiden Zeilen fassen dann die Situation aus Sicht des lyrischen Ichs negativ zusammen:
    • „öde“
    • „einsam“
    • „ohne dich“.

Erläuterung von Strophe 6

  1. Was rauscht? – Sie naht von ferne! –
  2. Nun, Wald, rausch von den Höhn,
  3. Nun laß Mond, Nacht und Sterne
  4. Nur auf- und untergehn!
  • Die sechste Strophe bringt dann eine überraschende Wendung.
  • Die Stille wird durch ein Rauschen unterbrochen.
  • Der Rest der ersten Zeile kann nur so verstanden werden, dass die Liebste sich nähert und zwar von Ferne.
  • Das wäre dann die geheimnisvolle Erfüllung des Wunsches im Hinblick auf die früher genannte „Braut“.
  • Es spricht aber viel dafür, dass das nur in der Fantasie des lyrischen Ichs geschieht.
  • Denn es ist schwer vorstellbar, dass die Liebste tatsächlich von Ferne kommt und dabei bereits ein Rauschen produziert.
  • Die Aufforderung des lyrischen Ichs an den Wald geht auch eher in die Richtung, dass er (!) und nicht die Liebste in der Realität den lautlichen Hintergrund bildet für das Wechselspiel der Natur.

Zusammenfassung der Aussagen – Intentionalität des Gedichtes

Insgesamt

  1. macht das Gedicht das Leiden des lyrischen Ichs deutlich. Es fühlt sich am Anfang den Vögeln und den Wolken als Stellvertreter der die Natur unterlegen und kann sie nur bitten, an seiner Stelle – zumindest mit einer Nachricht – zur Liebsten aufzubrechen.
  2. Am Ende scheint das lyrische Ich auf eine gewisse Weise seinen Frieden mit der Situation gemacht zu haben.
    1. Der besteht darin, dass es sich zumindest in der Fantasie vorstellt, dass die Liebste jetzt in seine Richtung aufgebrochen ist.
    2. Ansonsten hat man das Gefühl, dass das lyrische Ich das Wechselspiel der Natur, man könnte vielleicht auch sagen: des Lebens, bereit ist, zu akzeptieren.

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