Anders Tivag, „Wenn Kommunikation entgleist“ (Mat5763)

Anders Tivag,

Wenn Kommunikation entgleist

Man kann sich das Folgende auch hier anhören:

Jedes Verkehrsmittel hat auch seine Schattenseiten. Flugzeuge können abstürzen, Schiffe versinken und Eisenbahnen können entgleisen.

Auch bei der Kommunikation kann es zu Entgleisungen kommen – man denkt dann an Beschimpfungen, Drohungen oder andere Dinge, die übel enden können.

Manchmal reicht es aber auch, wenn eine Weiche nur falsch gestellt wird – aber nein, auch das kann gefährlich sein, wenn einem dann ein anderer Zug entgegenkommt.

Heute musste ich ein langes Telefonat mit meinem Freund Harry führen. Er lebt schon lange mit Nina zusammen – die hat sich nun mehrfach beklagt, dass er ihr zuwenig Aufmerksamkeit schenkt. Nun hatte ich ihm letztens empfohlen, doch einfach häufiger so eine richtig liebevolle Nachricht zu schicken – gewissermaßen die Vorstufe zu Überraschungs-Rosensträußen. Heute hatte er sich besonders viel Mühe gegeben. Er hatte im Internet von einem Wettbewerb gehört. Dabei ging es um die originellste Fortsetzung des Satzes: Liebe ist, wenn man nach langer Zeit …

Und er hatte all seinen Mut zusammengenommen und auch ein bisschen Selbstkritik, aber ganz viel gemeinsame Zukunft mit eingebaut.

Herausgekommen war etwas in der Art von: „Liebe ist, wenn man es endlich gemerkt hat und nie wieder vom anderen lassen will.“

Ich fand die Formulierung recht passend, wenn auch sicher noch ausbaufähig.

Ich lobte ihn aber schon mal: Wow, echt klasse. Da wird Nina sich aber freuen.

Kurze Pause – dann die jämmerliche Antwort: Nein, Sibylle hat sich gefreut.

Ich war platt. Was hatte diese Nachricht mit Sibylle, Harrys Arbeitskollegin zu tun. Und wieso machte sie das glücklich? Immerhin war sie schon seit langem hinter meinem Freund her und der konnte sich ihrer – natürlich nur kollegialen – Umarmungen kaum erwehren.

Ich fragte vorsichtig zurück: Wieso Sibylle?

Dann musste ich mir erst mal anhören, dass Harry einen stressigen Tag gehabt hatte. Er hatte einigen Kolleginnen, per Whatsapp noch was zur kommenden Fortbildung schreiben müssen. Und dann hatte er sich an die Formulierung seiner Liebesmail gemacht – sicherheitshalber in einer separaten Worddatei.

Als er schließlich zufrieden war, hatte er sie einfach kopiert und per WhatsApp verschickt.

Ich hatte selbst auch ziemlich viel Stress gehabt, deshalb kam ich nicht von selbst auf das, was ich dann zu hören bekam.

Harry, den Tränen nahe: Ja, ja, das mit dem Kopieren und Verschicken hat auch geklappt. Dann fiel mir ein, dass ich Sibylle noch antworten musste, dass ich die nächsten Tage keine Zeit für ein gemeinsames Abendessen hätte – natürlich rein kollegial – von meiner Seite.

Dann hatte er WhatsApp aufgemacht …
Jetzt wusste ich, was passiert war. WhatsApp hatte ihm den letzten Chat gezeigt – das war nicht der mit Nina – sondern seine Liebesnachricht war aus Versehen an Sibylle gegangen.
Sie hatte auch gleich überglücklich reagiert:
„Endlich hast du es gemerkt. Dann können wir ja gleich bei unserem gemeinsamen Abendessen morgen überlegen, wie es mit uns weitergeht. Gruß und Kuss Sibylle.“
Anschließend saßen Harry und ich noch lange in unserer Lieblingskneipe, es gab viel zu bereden.

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