Büchner, „Woyzeck“ – Die Frage eines anderen Schlusses und der Weg dorthin (Mat7182)

Worum es hier geht:

  • Im Folgenden wollen wir zeigen, wie man zu einem literarischen Werk einen anderen Schluss erfinden kann.
  • Erlaubt ist das auf jeden Fall, denn Kunst entsteht ja „im Auge des Betrachters“.
  • Wir beschreiben im Folgenden die Methode, mit der wir zu einem schöneren Ende gekommt sind.
    • Alle Szenen durchgehen und sie im Hinblick auf ein Happy End prüfen
    • dann die Stelle suchen, an der eine Abzweigung möglich ist
    • und die dann kreativ ausgestalten.
  • Zusätzlich haben wir uns noch überlegt, wie es zu diesem anderen Schluss hätte kommen können.

Die Prüfung des Werkes – nach Abzweigmöglichkeiten

  1. Die Frage nach einem anderen Schluss ist bei einem literarischen Werk sehr reizvoll.
    • Sie führt nämlich dazu, dass man noch mal den gesamten Ablauf betrachtet
    • Und überlegt, wo es vielleicht eine Abzweifung hätte geben können.
  2. Das ist aber im Falle von Büchners „Woyzeck“ sehr schwierig, denn
    • das ganze Werk ist ja in der Form der überlieferten Szenen voll auf Gewalt, Leiden und Untergang gebürstet.
    • Dazu kommt natürlich auch noch der Fragment-Charakter. Man kann nur annehmen, was für eine Gesamthandlung Büchner vorgeschwebt hat.
  3. Wenn man trotzdem nach einem anderen – und das heißt doch wohl: besseren Schluss suchen will, dann muss man mal schauen, was an Möglichkeiten übrigbleibt.
    • Woyzeck selbst fällt weitgehend aus – einfach weil er krank ist und ziemlich am Ende.
    • Dazu kommt, dass die Beziehungsprobleme zwischen Marie und Woyzeck schon früh beginnen.
      Uns haben die folgenden drei Seiten bei der Prüfung der Szenen sehr geholfen – denn es gibt dort schöne grafische Übersichten.

    • Man kann also sagen:
      • Szene 1 „Freies Feld“ zeigt Woyzecks innere und wohl schon krankhafte Bedrängnis. Normale Ausgleichslösungen fallen vor dem Hintergrund doch weitgehend weg.
      • Szene 2 zeigt Maries Bemühen um ein Wegkommen von diesem Mann – in Richtung eines starken Partners.
      • Szene 3: Hier tut Woyzeck was für Marie, aber hier steht bezeichnenderweise die „viehische Vernunft“ im Vordergrund und die Kombination von Angeberei und Lust auf Frauen beim Tambourmajor.
      • Damit sind ist eigentlich eine nur negative Grundlage für das Drama gelegt.
      • In Szene 5 zeigt sich Woyzeck zwar bei klarem Verstand und dem Hauptmann sogar überlegen,
      • Aber dann kommt in Szene 6 Maries Bereitschaft, sich auch sexuell dem Tambourmajor hinzugeben.
      • In Szene 7 ist Woyzeck dann schon auf Verdachts- und Vorwurfstour und Marie äußert sich sehr negativ („hirnwütig“) und ist anscheinend bereit, zu ihrem Handeln zu stehen.
      • In Szene 9 verstärkt der Hauptmann dann auch noch Woyzecks Verdacht.
      • Ab dann ist er zunehmend in eifersüchtigem Bestrafungsstress bis hin zum Kauf eines Messers.

Szene 17 als Basis für eine kleine Änderung der Literaturgeschichte

  • Es ist dann Szene 17, in der Marie ihre Schuld bekennt, am Ende steht da: „Heiland, Heiland, ich möchte dir die Füße salben.“
    An dieser Stelle könnte man dem Drama eine andere Wendung geben.
  • Literaturhistorisch hätte es so dazu kommen können:
    • Nach Büchners Tod hat es nur bis Szene 17 geschafft.
    • Einige Zeit nach seinem Tod hat die Überreste ein Neffe gefunden, der auch schriftstellerisch tätig ist, aber eher dem poetischen Realismus angehört.
      • Also ein bisschen Elend durchaus, allerdings wird es schon abgemildert und vom Nihilismus befreit.
      • Dann macht sich der Mann an die poetische Wendung in Richtung des Schönen.
      • Außerdem hat dieser Schriftsteller eine Frau, die sehr selbstbestimmt denkt und sich auch in der Kirche sozial engagiert.
      • Die bringt ihren Mann dann auf die Pfarrers-Lösung.

Der neue Schlussteil des Dramas:

  • Marie wendet sich an den Pfarrer und beichtet ihm alles.
  • Dieser sorgt dafür, dass sie und das Kind an einen sicheren Ort kommen.
  • Dann spricht er mit Woyzeck. Dort muss er erkennen, dass der einfach krank ist. Das heißt: Mit ihm kann es eine rationale Lösung nicht geben.
  • Der Pfarrer sorgt dann dafür, dass Marie und ihr Kind zu ihren Eltern gebracht werden.
  • Die haben das Glück, bei einer Herrschaft zu dienen, bei der die Frau Mitgefühl entwickelt und sich auch für Marie interessiert.
  • Die bekommt eine Stelle in dem Haushalt.
  • Das Kind wird von der Amme der Herrin mitbetreut.
  • Am Ende dann ein Gespräch zwischen Marie und ihren Eltern – so wie Effi in Fontanes Roman „Effi Briest“. Marie erzählt vom Märchen der Großmutter. Der Vater ist empört und entwickelt eine entgegengesetzte Sicht. Auch er sieht das Elend in der Welt, verweist aber auf die Herrin, die ja gerade gezeigt hat, dass im Einzelfall Rettung oder zumindest Besserung möglich ist.

Verteidigung dieser Lösung:

  • Man kann sich noch so anstrengen, nichts bleibt ohne Widerspruch.
  • Dem kann man entgegensetzen:
    • Wie soll denn eine andere Lösung aussehen? Es ging ja um eine Alternative und nicht um eine Fortsetzung des Schlusses in Richtung Gerichtsverhandlung.
    • Deutschunterricht hat mit Literatur zu tun, nicht mit medizinischen und juristischen Fragen.
    • Außerdem ist man als Leser oder Leserin autonom – d.h. man einen eigenen Weg gehen.
    • Man muss nur im Rahmen des Werkes bleiben und eine einigermaßen überzeugende Weggabelung finden,
    • die man dann auch in sich stimmig ausgestaltet.
    • Und dazu kann man/frau stehen 🙂

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