Anmerkungen zu Wilhelm Müllers „Gute Nacht“ (Mat4190-LV)

Warum dieses Gedicht interessant ist:

Wilhelm Müllers Gedicht „Gute Nacht“ zeigt, dass ein Leben nach den Prinzipien beziehungsweise Vorstellungen der Romantik auch ein sehr egoistisches Verhalten mit sich bringen kann.

Zu finden ist das Gedicht zum Beispiel hier:

http://www.deutsche-liebeslyrik.de/muller_wilhelm_winterreise.htm

Im Folgenden arbeiten wir die wichtigsten Elemente heraus und machen hoffentlich Lust auf eine Diskussion.

Hier gibt es auch eine Kurzfassung der Anmerkungen zu diesem Gedicht:
https://textaussage.de/5-min-tipp-zu-wilhelm-mueller-gute-nacht

Anmerkungen zur Überschrift des Gedichtes

  • „Gute Nacht“: Das ist zunächst ein üblicher Abschiedsgruß, verbunden mit guten Wünschen für eine angenehme Nachtruhe. Wir werden sehen, was das Gedicht daraus macht.

Anmerkungen zur Strophe 1:

“Fremd bin ich eingezogen,
Fremd zieh ich wieder aus.
Der Mai war mir gewogen
Mit manchem Blumenstrauß.
Das Mädchen sprach von Liebe,
Die Mutter gar von Eh‘ –
Nun ist die Welt so trübe,
Der Weg gehüllt in Schnee.“

  • Das Gedicht beginnt mit der Beschreibung einer Situation, in der der Aufenthalt an einem Ort dem lyrischen Ich nichts gebracht hat.
  • Es wird dann konkreter, indem recht negativ von einem Mädchen und seiner Liebe gesprochen wird, verstärkt mit dem Hinweis auf die Mutter, die sich wohl eine Ehe für ihre Tochter gewünscht hat.
  • Was für ein Problem das lyrische Ich damit gehabt hat, wird erst mal nicht geklärt. Stattdessen ist nur die Rede davon, dass ihm die Welt trübe erscheint. Verstärkt wird das durch den Hinweis auf die unangenehme Reisesituation im Winter mit Schnee.

Anmerkungen zur Strophe 2

Ich kann zu meiner Reisen
Nicht wählen mit der Zeit:
Muss selbst den Weg mir weisen
In dieser Dunkelheit.
Es zieht ein Mondenschatten
Als mein Gefährte mit,
Und auf den weißen Matten
Such ich des Wildes Tritt.

  • Zu Beginn der zweiten Strophe macht das lyrische Ich deutlich, dass es bei seinen Reisen keine Wahl hat.
  • Dann verändert sich die Grundhaltung zum Reisen bei ihm, denn es spricht davon, dass es sich selbst den Weg weisen müsse in der Dunkelheit.
  • Diesen scheinbaren Widerspruch kann man wohl nur auflösen, indem man davon ausgeht, dass das lyrische Ich wohl unter einem gewissen Richtungszwang steht, aber das Gefühl hat, gewissermaßen der eigenen Bestimmung zu folgen.
  • Interessant ist der Hinweis auf die Dunkelheit, die das lyrische Ich zu umgeben scheint. Das verstärkt den Eindruck der Unklarheit, die das lyrische Ich mit Entschlossenheit für sich auflösen wird.
  • In der zweiten Hälfte des Gedichtes verlässt das lyrische Ich diese grundsätzlichen Überlegungen zu seinem Verhalten und wendet sich den konkreten Umständen seiner Wanderschaft zu.
  • Da ist zum einen in typisch romantischer Manier der Mond. Verbunden wird das interessanterweise mit den Spuren von Tieren.
  • Inwieweit dahinter ein Jagdtrieb steckt, bleibt offen.

Anmerkungen zur Strophe 3:

Was soll ich länger weilen,
Dass man mich trieb‘ hinaus?
Lass irre Hunde heulen
Vor ihres Herren Haus!
Die Liebe liebt das Wandern,
Gott hat sie so gemacht –
Von einem zu dem andern –
Fein Liebchen, gute Nacht!
Will dich im Traum nicht stören,
Wär‘ schad‘ um deine Ruh‘,
Sollst meinen Tritt nicht hören –
Sacht, sacht die Türe zu!
Ich schreibe nur im Gehen
An’s Tor dir gute Nacht,
Damit du mögest sehen,
Ich hab‘ an dich gedacht.

  • In der dritten Strophe versucht das lyrische Ich noch einmal das Grundsätzliche und vielleicht auch die Vergangenheit abzustreifen.
  • Dannversteigt es sich sogar zu einer sehr negativen Einschätzung dessen, was ihn vertrieben hat.
  • Ab der vierten Zeile zeigt das lyrische Ich eine Haltung gegenüber der Liebe, die zumindest in einer Hinsicht sehr problematisch ist.
  • Die meisten Menschen  verbinden mit Liebe eine besondere Festigkeit und auch einen gewissen Ewigkeitsanspruch.
  • Das wird hier aber völlig zurückgewiesen und man fragt sich, was denn dann von der Liebe übrig bleibt, wenn sie nicht mehr unterschieden wird von kurzzeitiger Leidenschaft.
  • Fast schon zynisch kommen einem die nächsten Zeilen vor, in denen das lyrische Ich so tut, als wäre es Rücksichtnahme, wenn es sein Liebchen jetzt klammheimlich und still verlässt.
  • In die gleiche Richtung geht, dass das lyrische Ich sich nicht viel Zeit nimmt, um noch einmal eine Liebe zu demonstrieren, die wohl nicht sehr tief geht.
  • Jedenfalls hat man nicht die den Eindruck, dass hier jemand darunter leidet, dass er weiter muss. Alles sieht nach einer sehr kurzen und von oberflächlichen Liebeserfahrung aus
  • In diesem Zusammenhang ist auch interessant, dass das lyrische Ich nichts Näheres über das Objekt seiner kurzzeitigen Begierde verrät. Man hat den Eindruck eines ziemlichen Egoismus.

Zusammenfassung

  • Insgesamt zeigt das Gedicht einen Menschen, der die Liebe anscheinend als kurzweiligen Zeitvertreib betrachtet. Wirkliche Gefühle scheinen keine große Rolle zu spielen.
  • Wer auf eine solche Art und Weise das Ende einer Liebe erfahren hat, wird diese Haltung möglicherweise als egoistische Frechheit verstehen, die weit von einem wirklichen Gefühl entfernt ist.
  • Es gibt wohl nur wenige Gedichte  der Romantik, die von einer solchen Oberflächlichkeit im Hinblick auf menschliche Beziehungen geprägt sind.
  • Was man dem lyrischen Ich allenfalls zugute halten kann, ist ein inneres Getriebensein. Dass dieses Springen von einer sogenannten Liebe zur nächsten auch noch als göttlich angesehen wird, könnte als einfacher Versuch gewertet werden, sich eine billige Entschuldigung zu verschaffen.
  • Natürlich könnte es auch sein, dass die verlassene Geliebte das genauso sieht. Davon ist aber im Gedicht keine Rede. Auf jeden Fall bleibt am Ende der Eindruck, dass da ein Mensch zurückgelassen wird, zu dem keine wirkliche Beziehung aufgebaut worden ist.

Kreative Anregung:

  • Man könnte sich vorstellen, dass dieser verschwundene Kurzzeitliebling aus Versehen seine Adresse dagelassen hat. Daraus ergäbe sich die Möglichkeit, ihm einen kürzeren oder auch längeren Brief zu schreiben, der entweder Empörung zeigt oder aber auch einen genauso oberflächlichen Rückblick auf eine Kurzzeitbeziehung.
  • Das Schreiben könnte zum Beispiel noch ein bisschen getoppt werden dadurch, dass sie sich für die Brieftasche bedankt, die aus Versehen zurückgelassen worden ist.
  • Hier könnte man auch einen entsprechenden Zettel unter den Abschiedsgruß am Tor heften. Der könnte zum Beispiel den Hinweis enthalten, dass sie sich jetzt einer ihrer Ex-Beziehungen zuwenden wird, um mit ihm gemeinsam mit dem Geld ein bisschen durchzufeiern. Das wäre dann eine möglicherweise angemessene emotionale Reaktion auf das, was die andere Seite vorher gezeigt hat.

Wer noch mehr möchte …